Schmidts Einsicht
aus der Stadt. Nur selten und widerwillig luden sie ihn dazu ein. Dann kamen die ersten Zänkereien: Jon setzte Schmidt auf flegelhafte Art von seiner Verlobung mit Charlotte in Kenntnis, Schmidt nahm die Einladung der alten Rikers zu Thanksgiving nicht bereitwillig, sondern nur widerstrebend an, sein Vorschlag, Charlotte sein lebenslanges Wohnrecht am Haus zur Hochzeit zu schenken, stieß nicht auf Gegenliebe, und, was am schlimmsten war, sie weigerte sich, Marys Hochzeitskleid zu tragen und die Hochzeit im Haus in Bridgehampton zu feiern. Zank gebar Zank: Kummer konnte er von Charlotte erwarten, aber Gesellschaft oder Trost niemals.
Unterdessen sah Schmidt deutlicher als je zuvor, daß in der Welt, in der Mary und er an den Wochenenden und in den Ferien so angenehm gelebt hatten, kein Platz für ihn war. Diese Welt war das Reich mächtiger Verleger und Literaturagenten und jener Autoren, die genug Erfolg hatten, um ein Haus in den Hamptons zu mieten oder zu kaufen. Große Partys anläßlich von Buchveröffentlichungen und Besuchen von Autoren, die einer Feier würdig waren, wechselten sich ab mit Essen in kleinem Kreis, die fein abgestimmt waren, so daß nur Gleichgestellte dieses Reichs zusammenkamen. Mary hatte von Natur aus dazugehört und stand aufgrund ihres Charmes, ihrer Begabung und ihrer Macht im Rang einer Reichsherzogin. Schmidt wurde als Prinzgemahl geduldet. Ohne Mary hatten die Einladungen zu den kleinen Abendessen abrupt aufgehört. Jene zu den großen Partys, den Treffpunkten, an denen randständige Agenten, Nachwuchsverleger und Autoren mit mittleren Listenplätzen auf Kontakte mitden Besseren hofften, kamen erst noch tröpfelnd und versiegten dann ebenfalls. Schmidt wußte, daß er zum Teil selbst daran schuld war. Er war kratzbürstig, machte kein Hehl aus seiner Abneigung gegen Partygeplauder, konnte nicht elegant von einer Gesprächsgruppe zur anderen wechseln, lauter fatale Mängel, die nicht aufgewogen wurden durch Reichtum oder geschickt dargestellte, für Laien erkennbare Erfolge im Rechtswesen. Er war ein pensionierter Anwalt, nichts weiter, eine leere Hülse. Sicher, ein ehemaliger Partner in einer berühmten Kanzlei, die diesen kultivierten Agenten, Lektoren und Autoren dem Namen nach als ein Machtzentrum bekannt war, aber auf welchem Spezialgebiet hatte er gearbeitet? Private Finanzierungen! Keine feindlichen Übernahmen oder Vereitelungen derselben, die sein Verdienst gewesen wären? Nie an großen Kämpfen um das First Amendment teilgenommen? Nichts konnte langweiliger sein. Er hatte gedacht, daß zum Beispiel Lew Brenner sich in dieser erbarmungslosen Umgebung sehr gut behaupten würde. Der konnte über arabische Scheichs, russische Oligarchen und barbarische Texaner reden, konnte von Abschlüssen erzählen, bei denen das prekäre Gleichgewicht zwischen Dollarmilliarden und der Politik souveräner Staaten auf Messers Schneide stand. Und was hatte er, Schmidt, zur Unterhaltung beizutragen? Die neuesten Moden für Leasings mit Leihkapital; die Rechtsanwälte der Versicherungsgesellschaften, die er gekannt hatte; die gewaltigen ethischen Probleme, die sich ergaben, wenn er mit einem Rechtsgutachten klären sollte, ob eine Veräußerung echt oder nur ein Scheinverkauf und verkapptes Darlehen war? Er roch förmlich nach Langeweile, und er wußte es. Obendrein nahm er Einladungen an und kam dann nicht, oder er kam, ohne sich angemeldet zu haben, läßliche Sünden, wenn sie ein Gleichgestellter beging, Todsünden, wenn er, ohnehin ein Grenzfall, sie sich leistete.
Das Auftauchen Carries in seinem Leben hatte ihn in eine andere Sphäre gehoben, die Sphäre der Glückseligkeit. Ein Glück, das verschwinden würde wie eine Fata Morgana, das wußte er, sogar als er ihr unbeholfen und linkisch einen Heiratsantrag machte, ihr zeigte, daß er sich damit zufriedengeben würde, nur ein Fußabtreter für sie zu sein oder vielleicht ein Sprungbrett in eine passende Ehe und eine gehobene Position. Die Glückseligkeit kam zu einem Ende, wie zu erwarten, und hinterließ das Geheimnis um den kleinen Albert. Und zwangsläufig hatte sein kurzlebiger Glückszustand die ungeheuerliche Liste von Charlottes Ärgernissen verlängert. Kein Zweifel: Die ständig wachsende und, wie er allmählich fürchtete, dauerhafte Entfremdung von seiner Tochter war die Hauptschuld in seinem Leben. Auf die Aktivseite seiner Bilanz setzte er, daß er Carrie und den kleinen Albert täglich sehen und das Kind hüten konnte,
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