Schmidts Einsicht
Tränen quollenMr. Mansour aus den Augen und rannen ihm über die Wangen, bevor er sein gelbes Seidentaschentuch aus der Tasche seiner schwarzen Strickjacke ziehen und sie abwischen konnte.
Genug von mir, fuhr er fort, ich wollte, daß du es weißt. Das ist alles. Die Frage ist: Hast du jetzt ein Leben? Du hast mir nicht erzählt, was letzten Sommer mit der liebenswürdigen Dame in Paris vorgefallen ist, aber das brauchst du auch nicht. Ich habe es herausgefunden, ein paar Andeutungen des großen Filmemachers haben genügt. Reg dich nicht auf: nur ein oder zwei Andeutungen. Er hat mir nichts erzählt, was er für sich behalten sollte. Die Frage ist, kannst du heute abend in mein Flugzeug steigen – mit mir oder allein, aber für dich wäre es besser, wenn ich mitkomme. Wir fliegen nach Paris, du besorgst zwei Dutzend rote Rosen, und was noch? Eine hübsche Brosche bei Buccellatti, was Einfaches mit einem netten Diamanten und vielleicht ein paar Saphiren, und dann bittest du sie um Verzeihung. Sie wird dir verzeihen. Garantiert.
Das wird nichts, Mike. Sie will mich nicht mehr haben, nachdem ich alles so vermasselt habe, und jetzt will ich sie auch nicht mehr. Nicht zu ihren Bedingungen. Es kann nicht sein. Es war ein schöner Traum, sonst nichts. Es ist vorbei.
Du gibst zu leicht auf. Ich nicht, aber mein Leben war und ist auch anders. Ich hatte zu kämpfen. Um jeden Zentimeter, den ich weiterkam. Jetzt nicht mehr. Ich hebe nur den kleinen Finger. Also ist die Frage, hast du ein Leben? Was machst du, wenn du nicht im Büro bist oder Carrie und den kleinen Albert besuchst? Daß du für alle ihre Kinder sorgen wirst, ist übrigens ein geschickter Schachzug, ich hätte dir genau das geraten.
Wieso weißt du das schon wieder?
Klick, klick.
Pas de problème . Das habe ich dir schon erklärt. Meine Leute und Jason reden miteinander.
Ach so, sagte Schmidt. Sag mal, kann man dich und deine Leute irgendwie loswerden?
Nein, kann man nicht. Bist du mein Freund, lasse ich dich nie fallen. Erst recht nicht, wenn du in der Patsche sitzt.
Na gut. Kann ich noch etwas von diesem Armagnac haben?
Bedien dich nur! Aber erst gib mir eine Antwort auf meine Frage.
Schmidt brauchte eine kleine Weile, bis er sich überwand, etwas zu sagen.
Also gut, Mike, sagte er. Ich habe kein Leben. Es ist wahr, in der Stiftung arbeite ich hart. Ich bin froh, daß Holbein es gemerkt hat. Da du alles weißt, ist dir sicher nicht entgangen, daß ich nächste Woche wieder eine Rundreise zu deinen Life Centers mache. Dann komme ich zurück, und mein Nicht-Leben geht weiter. Irgendwann wird irgendwas zu Bruch gehen. Das Perpetuum mobile wird stehenbleiben. Bist du jetzt zufrieden?
Nein, überhaupt nicht, denn ich bin der beste Freund, den du je haben wirst.
Komm, gehen wir rüber, sagte Mr. Mansour, und zeigte auf eine Sesselgruppe. Offenbar hatte er auf einen Knopf gedrückt, denn Manuel kam, rückte ihm den Stuhl zur Seite und entzündete ein Streichholz, um das Feuer im Kamin in Gang zu bringen.
Mr. Mansour dachte länger nach als gewöhnlich, bevor er wieder etwas sagte. Charlotte geht es noch schlecht? fragte er. Die Frage ist: wie schlecht?
Immer hatte Schmidt den Mund gehalten, solange er zurückdenken konnte, schon als kleiner Junge im Schatten seines erdrückend kompetenten Vaters und der Mutter, die seinem Leben die Farbe und den Geschmack geraubt hatte. Gil Blackman wußte vieles von ihm, das er niemandem sonst erzählte, nicht einmal Mary. Ihr gegenüber hatte er seine Reserve niemals ganz aufgegeben. Er sah keinen Grund, das zu tun. Er erzählte ihr alles, was sie über seinen Status in der Kanzlei, sein Geld – was er verdiente und was er ausgab und das wenige, was er ganz am Anfang noch schuldete –, seine Vorstellungen von Charlottes Erziehung wissen mußte. Aber darüber hinaus? Redete er über seine sogenannten Gefühle? Hätte jemand gefragt – hätte sie gefragt – , dann hätte er vielleicht gesagt, da gibt es nichts zu erzählen, das sieht man doch gleich, ich trage mein Herz auf der Zunge. Und jetzt erkundigte sich dieser merkwürdige Mensch mit den Betperlen und den Privatjets nach Charlotte. Daß Mike nicht zufrieden sein würde, bis er alles erfahren hatte, wußte Schmidt genau. Und daß er merken würde, wenn etwas verschwiegen wurde, war ebenso klar. Mansour hatte ihm die Freundschaft aufgezwungen, aber nach dem einen üblen Zusammenstoß, aus dem vielleicht beide gelernt hatten, war er ein guter Freund geworden.
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