Schmidts Einsicht
Einer, der Schmidt über einen Ozean von trennenden Unterschieden hinweg verstand. Schmidt leerte sein Glas und wurde sehr müde. Er hatte Gil nichts von Charlotte erzählt, hatte es nicht über sich gebracht, ihn mit diesem schweren Kummer zu belasten, eines Tages, sehr bald, würde er es nachholen müssen.
Manuel wartete in einer entfernten Ecke des riesigen Wohnzimmers, in dem Mr. Mansour mittags und abends aß, wenn er allein war oder nur ein bis zwei Gäste hatte. Schmidt hielt das leere Glas hoch, wartete, daß Manuel es wieder füllen würde, und bat um einen Schluck Wasser. Seine Lippen waren ausgetrocknet.
Klick, klick.
Er betrachtete Mr. Mansour genau. Zum zweiten Mal an diesem Nachmittag schmunzelte der Freund nicht. Also gut, Mike, sagte er. Folgendes ist passiert.
Im April des folgenden Jahres, ein paar Monate nach diesem Gespräch, rief Charlotte Schmidt in seinem Büro an. Mrs. Riker auf Leitung eins, sagte seine Sekretärin. Aha! Mrs. Riker, also seine Tochter, nicht Renata, nicht Dr. Riker.
Meine liebe Charlotte, fing er an.
Dad, fiel sie ihm ins Wort, ich muß mit dir reden. Nicht am Telefon. Kannst du hierherkommen?
Sicher, antwortete er, wann möchtest du mich sehen?
Wie wäre es morgen? Kannst du am Vormittag hier sein?
Gegen elf bin ich da, antwortete er. Klick. Sie hatte aufgelegt.
Er hatte mehrfach mit Dr. Townsend telefoniert, vor der Reise nach Europa, dann als er wieder zurück war, kurz vor Weihnachten, und noch zweimal, Anfang Januar und im Februar. Jedesmal lautete die Auskunft: Sie macht langsam Fortschritte. Nein, zu diesem Zeitpunkt sei nicht vorherzusagen, wann sie Sunset Hill verlassen werde; das müsse sie entscheiden. Wann er seine Tochter besuchen könne, fragte er immer wieder. Regelmäßig hörte er die Antwort: Wir wollen ihr die Initiative überlassen. Bei seinem letzten Anruf hatte er insistiert. Mr. Schmidt, hatte der Arzt gesagt, Ihr letzter Besuch war kein Erfolg. Wollen Sie das gleiche noch einmal erleben? Sie macht Fortschritte, und ich glaube, wenn die Zeit gekommen ist, wird es ein Miteinander geben. Sie wird Ihnen die Hand reichen!
Ein Miteinander! Die Hand reichen! Wo hatte dieser nette, ins Kraut geschossene Preppy solche Ausdrücke aufgegabelt? Ruhig, Schmidtie, ermahnte er sich, die hat er von seiner Frau, seinen Kindern, seinen Patienten, dem Prediger in irgendeiner verblasenen Sekte, der er vielleicht angehört.
Dr. Townsend, sagte er, nein, einen mißglückten Besuch will ich natürlich nicht, und nein, ich will niemanden bedrängen. Selbst wenn ich wollte, ich kann es gar nicht, glaube ich. Würden Sie mir wenigstens etwas mehr über ihren Zustand verraten? Braucht sie noch so viele Medikamente wie zuvor? Wie sieht sie aus? Liest sie Zeitung? Bücher?
Falls Dr. Townsend gereizt war, ließ er es sich nicht anmerken.
Ich sehe nach, sagte er. Medikation: Die Mengen sind geringer, deutlich geringer. Sie ist blaß, das ist normal für diese Jahreszeit, da sie sich meistens im Haus aufhält. Sie achtet nicht sehr auf ihr Äußeres. Sie hätte in Sunset Hill zum Friseur gehen können. Sie hat das Angebot nicht genutzt, obwohl es ihr nahegelegt wurde. Bücher liest sie nach meinem Eindruck nicht, aber auf jeden Fall liest sie Zeitung oder verfolgt die Fernsehnachrichten im Gemeinschaftsraum. Über Newt Gingrich regt sie sich wirklich auf, das kann ich sagen. Ach ja, sie arbeitet gern in der Werkstatt für Malen und Basteln. Das scheint ein neues Interesse zu sein.
Aha, sagte Schmidt, das klingt nach Fortschritt, vermute ich. Meinen Sie, das heißt, ich könnte sie bald besuchen?
Mr. Schmidt – jetzt klang er leicht gereizt –, überlassen wir das Ihrer Tochter. Wenn sie bis zum Sommer kein Zeichen gegeben hat, rufen Sie mich bitte an. Dann besprechen wir, was zu tun wäre.
Sowie das Telefonat mit Charlotte beendet war, rief er Dr. Townsend an. Er arbeitete mit einem Patienten. Schmidt hinterließ eine Nachricht: Am nächsten Morgenwerde er Charlotte besuchen. Sie habe angerufen und darum gebeten!
Mrs. Riley, die mitfühlende Krankenschwester, mit der er bei seinem ersten, fehlgeschlagenen Besuch in Sunset Hill gesprochen hatte, begrüßte ihn am Empfangsschalter. Sie erwartet Sie, sagte sie, viel Glück!, und brachte ihn zum Sprechzimmer. Charlotte, in Bluejeans und einem Männerhemd, das nicht von Schmidt stammte, vielleicht von Jon, vielleicht von niemandem, das Haar zu lang, aber frisch gewaschen, das Gesicht weniger verquollen als beim letzten
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