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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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erlaubte, sachlich zu beurteilen, wie die Partner seine Arbeit wahrnahmen, mußte er zugeben, daß ihr Eindruck nur günstig sein konnte. Aber daraus zu schließen, daß er besser dastand als die fünf anderen angestellten Anwälte, drei aus Harvard und zwei aus Yale, die im selben Jahr wie er bei W & K angefangen hatten, das wäre reine Hybris gewesen. Allenfalls konnte er sich zu dem Eingeständnis überwinden, daß einer von ihnen, an der Law School im selben Jahrgang wie er, kein großes Licht und daß einer der beiden Yalies ein schleimiger Duckmäuser war. Aber wie sollte man wissen, ob den Partnern die Charakterfehler klar waren, die dem Mann die Verachtung seiner Kommilitonen eingebracht hatten? Selbst wenn sie es wußten, blieben immer noch Schmidt und drei seiner Mitbewerber im Rennen, und um wie viele offene Stellen sie konkurrierten, wußte man nicht. Bei Firmenfesten schwafelte Mr. Wood unweigerlich davon, daß man die angestellten Anwälte, die gezeigt hätten, daß sie es verdienten, Partner zu sein, »die das Tor sprengten«, immer zu Sozii machen würde. Aber das nahm niemand ernst. Man mußte gebraucht werden. Wurde Schmidt gebraucht? Nichts war weniger sicher. Gut möglich, daß er Finanzgeschäfte besser im Griff hatte als alle anderen Mitarbeiter seines Dienstalters, aber unter den jüngeren gab es hervorragende Kandidaten, und vielleicht entschied sich die Firma zu warten, bis einer von ihnen soweit war. Dazu kam noch, daß jetzt, da er in diesem katastrophalen Kartellrechtsauftrag für den alten Wood feststeckte, alles möglich war.
    Als er nun den Alten in seinem winzigen Büro auf dem Besucherstuhl sitzen sah, wortlos, die dünnen Lippen zu einem unbestimmten Lächeln verzogen, fürchtete Schmidt beinahe, zum erstenmal in seinem Leben in Ohnmacht zu fallen. Dann bewegten sich die Lippen des mächtigen Mannes ein wenig. Er sprach tatsächlich, redete monoton vor sich hin, daß die Partner beschlossen hätten, einstimmig beschlossen – sogar ohne jede Diskussion –, Schmidt zur Partnerschaft einzuladen, und wenn er annehme, würden sie große Dinge von ihm erwarten. Ob er geneigt sei, anzunehmen? Schmidt war vollkommen überwältigt vor Zuneigung. Konnte Dexter, wie Mr. Wood fortan genannt werden wollte, ihm irgendeine Aufgabe zumuten, die er nicht bereitwillig erfüllen würde? Wenn der Mann nur jetzt einen Moment den Mund halten und ihn allein lassen würde! Schmidt hatte für den Augenblick nur einen einzigen Wunsch: Er wollte Mary anrufen. Alles würde seine Ordnung haben, sie könnten sich die besten Privatschulen für Charlotte leisten, eine Garage in der Nähe der Wohnung, so daß sie nie mehr lange, angstvolle Fußwege nach Hause auf sich nehmen müßten, wenn er an Sonntagabenden spät noch das Wochenendgepäck ausgeladen und das Auto auf dem Parkplatz in East Harlem abgestellt hatte. Ein neuer Kombi anstelle des alten Buick, den sein Vater ihm überlassen hatte, war vielleicht auch möglich. Zu Hause könnten sie sich mehr Hilfskräfte leisten, vielleicht eine richtige Haushälterin. Und vielleicht würde Mary sogar nachgeben und einverstanden sein, noch ein Kind zu bekommen.
    Von den sechs Kandidaten schafften es nur er und Jack DeForrest. Zum Feiern trafen sich Schmidt und Mary im Club 21 mit Jack und Dorothy. Martinis, Krabbencocktails und Filet Mignon. Schmidt und DeForrest diskutierten ausgiebig und bestellten schließlich einen Pommard zum Fleisch. Nach dem Essen gingen sie in Le Club, zu dem man nur schwer Einlaß bekam, aber Jack kannte jemanden, dessen Name ihnen die Tür öffnete, und sie versuchten nach Kräften, wild zu tanzen. Als Schmidt und Mary wieder zu Hause und im Bett waren, flüsterte sie: Leg dich hin und halt still. Sie nahm ihn in den Mund, und als er kam, schluckte sie und schluckte und schluckte. Er wußte, sie glaubte, besser könne sie ihm nicht zeigen, daß sie ihn liebte.
    Dann kippte das Jahr 1968 in eine Katastrophe. Ende Januar hatte der Vietcong die Tet-Offensive begonnen. Walter Cronkite, der das Blutbad offenbar nicht mehr mit ansehen konnte, sagte im Fernsehen, der Krieg sei in einer Pattsituation und müsse durch Verhandlungen beendet werden, ein Rat, den er tauben Ohren predigte. In der Heimat türmte sich ein Entsetzen auf das andere. Am 4. April wurde Martin Luther King ermordet, und in Harlem und überall im Land folgten Rassentumulte, Brandstiftungen und Plünderungen. Fast auf den Tag genau zwei Monate später wurde Bobby Kennedy in der

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