Schmidts Einsicht
Küche des Hotels Ambassador in Los Angeles von Schüssen getroffen; erstarb am nächsten Tag. Proteste gegen den Vietnamkrieg und der Verlust der öffentlichen Unterstützung zwangen LBJ, auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit zu verzichten; daraufhin wurde Hubert Humphrey auf einem Parteikonvent nominiert; wie chaotisch diese Veranstaltung war – es gab heftigen Streit in der Convention Hall und Prügeleien außerhalb, wo Demonstranten sich mit der Polizei von Chicago schlugen –, konnte man im Fernsehen verfolgen. Sechshundertfünfzig Demonstranten wurden verhaftet, eine unglaubliche Zahl, und die Krankenhäuser der Stadt wurden überschwemmt von Hunderten, die von der Polizei zusammengeschlagen worden waren. In New York versammelten sich Studenten der Columbia University zu einem Sit-in; daraufhin rief Grayson Kirk, der Präsident der Universität, die Polizei, um die Gebäude auf dem Campus räumen zu lassen; das löste eine Serie blutiger Krawalle aus. In dem Durcheinander, das dann folgte, wurden die Studenten des Jahrgangs 68 am Columbia College und den Professional Schools einschließlich der Law School zum Examen zugelassen, ohne daß sie die notwendigen Semesterwochenstunden absolviert hatten. Die älteren W & K-Partner waren ausschließlich Absolventen der Harvard und Yale Law Schools, und nur ein paar der jungen Mitarbeiter kamen von der Columbia Law School, denn die älteren Sozii hielten sich viel auf die Harvard- und Yale-Einfärbung der Kanzlei zugute. Aber im Herbst 1968 sollten ausgerechnet fünf Columbia-Absolventen Mitarbeiter werden, und schon im Sommer hatten Columbia-Studenten in der Kanzlei gearbeitet. Jetzt sah es für viele so aus, als hätte die Nachsicht der Columbia University, die Studenten zum Examen zuließ, ohne daß sie alle dafür nötigen Semesterwochenstunden absolviert hatten, ihre Abschlußergebnisse und akademischen Auszeichnungen entwertet. Das gesamte Benotungssystem dieser Universität war verdächtig. Wenn man beim Firmenessen von W & K über das Thema diskutierte, wiederholte der Vorsitzende des Aufnahmeausschusses, was er im Wall Street Journal gelesen hatte: Der Lehrkörper der Law School habe nur eins gewollt − den Jahrgang 1968 loswerden. Auch für Studenten im ersten und zweiten Jahr galt: Alles ist erlaubt. Wer zum Examen kam, bestand. Wer tatsächlich etwas in sein Examensbuch eintrug, wurde mit »sehr gut« benotet. Dies werden wir sorgfältig beobachten müssen, kündete Dexter Wood an, begleitet vom Hört! Hört! und einem kräftigen Tischklopfen seiner Zuhörer. Das Goldene Zeitalter der Universitäten war vorbei und mit ihm die Unantastbarkeit der Benotungen an der Law School und der Wahlen in die Redaktion ihrer Fachzeitschriften; eine ansteckende Krankheit, das sagten die Anwälte voraus, die durch das Periskop der Pariser Niederlassung von W & K verfolgt hatten, was im Mai in Paris geschehen war.
Ein Mitarbeiter von Verplancks Qualität hätte immer als Zierde der Firma gegolten. In diesen Zeiten begrüßten die älteren Partner seine Ankunft mit ungewöhnlich überschwenglicher Freude. Er verkörperte das Beste, was das vertraute, geliebte Ausbildungs- und Auswahlsystem hervorbringen konnte. So ergab sich wie von selbst, ohne ein Wort von Mr. Wood oder einem der älteren Partner, ein stillschweigendes Einverständnis aller: Bis zu dem glücklichen Tag, da Tim – vorausgesetzt, er strauchelte nicht – zum Partner ernannt würde, sollte er nur an den anspruchsvollen Projekten arbeiten; alle geisttötenden Arbeiten sollten ihm erspart bleiben, das Aktualisieren der Bestandsaufnahmen von einzelstaatlichen Gesetzen gegen Emissionsbetrug ebenso wie das Durchforsten der Akten eines Mandanten, der mit dem Kartellrecht in Konflikt geraten war, und erst recht jegliche Arbeit für die Mitglieder der Racquet Club Patrouille . Unter diesem Namen firmierten die vier für Treuhand- und Vermögensfragen zuständigen Partner bei den Witzbolden von W & K, eine Anspielung auf die Mittagsstunden, die sie mit ihren täglichen Gin-Martinis in diesem Club verweilten, aus dem sie erst ins Büro zurückkamen, wenn nur noch zweieinhalb Stunden Zeit blieben, bevor sie wieder aufbrechen mußten, um am Grand-Central-Bahnhof den 17:55-Zug nach Greenwich und New Canaan zu erwischen.
Schmidt, ein Partner im ersten Jahr, hätte kaum hoffen dürfen, daß Tim, diese Leuchte der Kanzlei, ihm als Assistent zugeteilt würde. Aber Schmidts Renommee und sein Status in der
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