Schmidts Einsicht
Firma waren beträchtlich. Die großen Versicherungsgesellschaften, für die er damals arbeitete, waren die Kronjuwelen, und ihre private Effektenplazierung – hart verhandelte langfristige Darlehensvergaben mit raffinierten Dividenden-, Investitions- und Kreditbeschränkungen – waren Finanzsonette, auf deren Komposition Schmidt sich hervorragend verstand. Kein Wunder, daß die peniblen Herren, die in den Wolkenkratzern von Boston, Hartford, Newark und New York für diese Mandanten arbeiteten, bei Telefonaten mit einem der beiden Seniorpartner, Mr. Jowett oder Mr. Rheinlander, ihre Ankündigung neuer Aufträge häufig mit dem ausdrücklichen Wunsch verbanden, Schmidt solle an ihren Geschäftsabschlüssen arbeiten, und dies schon, bevor er Partner der Firma wurde. Mit Schmidts Partnerstatus wurde sein Rang als ihr bevorzugter Anwalt offiziell, und als er im Herbst und Winter eine ganze Reihe Vorhaben für sehr große und neuartige Darlehensvergaben zu bearbeiten hatte, erhielt er den ersten Zugriff auf Tims Dienste.
Von Anfang an merkten sie, daß sie zueinander paßten. Das lag nicht nur an Tims Denkvermögen und seiner hervorragenden juristischen Ausbildung, die ihn befähigten, Probleme klar und schnell zu durchschauen. Er besaß außerdem den Sinn für Realität, ohne den ein Mitarbeiter von seiner Brillanz sich womöglich von Problemen ablenken ließe, die für sich genommen interessant, aber ohne praktische Auswirkung auf die Ziele der Mandanten sind. Und er schrieb gut, in Schmidts Einschätzung eine entscheidende Fähigkeit, eine Garantie für jene Präzision, ohne die ein Anwalt die Ziele seiner Mandanten nicht mit zureichender Gewißheit erreichen könnte. Außerdem handelte es sich dabei um die Freude am Formulieren als Kunst. Oh, Schmidt hatte nie daran gezweifelt, daß manche Anwälte in der Firma sich hinter seinem Rücken über ihn lustig machten, weil ihm der ästhetische Aspekt so am Herzen lag, aber Tim und er waren sich darin einig, daß ihr Einsatz für die Kunst des Formulierens nicht nur zu rechtfertigen, sondern entscheidend war. Er verwandelte eine schwierige, aber dem Anschein nach glanzlose Aufgabe – darauf zu achten, daß die Klauen der Dividenden-, Kredit- und Investitionsbeschränkungen fest zuschlugen und den Darlehensnehmer der Versicherungsgesellschaft daran hinderten, Bargeld vom sakrosankten Ziel der Zinszahlung und Rückerstattung des Kapitals bei Fälligkeit wegzulenken – in eine Arbeit gleich der Kunst, mit der ein Elfenbeinschneider im Mittelalter Passionsszenen aus seinem Material schnitzte. Also hatte Schmidt auch dann wohlwollend zugesehen, wenn er fand, ein wenig übertreibe Tim vielleicht doch mit seiner Manie für Eagle -Bleistifte Nummer 2, die er immer selbst spitzte, statt sie wie alle seine Kollegen in den Postausgangskorb zu werfen und ins Postzimmer zu schicken, wo man sich um die Stifte kümmerte und sie ein paar Stunden später gespitzt wieder ablieferte; oder seiner Manie für das besondere Florpapier, das er brauchte, um sprachliche Veränderungen in die Entwürfe von Dokumenten einzufügen. Odermit seinen sonderbaren kleinen Aphorismen. Wenn er zum Beispiel das unterschriftsreife Exemplar eines Dokuments erhielt, in dem er Reste eines überholten Entwurfs entdeckte, sagte er, Pentimenti haben in einer abgeschlossenen Arbeit nichts zu suchen! Oder wenn in einem Entwurf viel durchgestrichen und überschrieben war: Haben wir hier nicht zuviel impasto? Oder nach einer Konferenz mit einem unerfahrenen Verhandlungspartner: Dieser Samurai ist nicht bereit, das lange Schwert zu schwingen. All diese Sprüche waren amüsant und hübsche Beispiele für Tims breitgefächerte Bildung, aber hier und da fürchtete Schmidt, man könnte seinen Schützling deshalb für einen Geck halten.
Weder seine Vorliebe für den jungen Kollegen noch die Dankbarkeit für dessen Arbeit wurde dadurch geringer, und als Tim 1974, ein Jahr vor seinen Altersgenossen, Sozius wurde, bezweifelte niemand, auch Schmidt und Tim nicht, daß er die Beförderung seinen Verdiensten verdankte, den Zeitpunkt aber Schmidts Einfluß. Dieses Wissen bewahrte Schmidt jedoch nicht davor, bestürzt zu sein, als Tim begann, andere Götter anzubeten, wie er es nannte. Damit Schmidt ihn auch richtig verstand, machte er es noch deutlicher: Ha, ha, ha! Du sollst keinen anderen Gott anbeten. Denn der Herr heißt ein Eiferer; ein eifersüchtiger Gott ist er. Stimmt’s, Schmidtie? Das hieß, Tim zog weiter. Als der
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