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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Vorzugszinssatz im letzten Jahr der Regierung Carters fast 21,5 % betrug, hätten nur Dummköpfe zu diesen Konditionen langfristige Kredite bei Versicherungsgesellschaften aufgenommen, und nur Dummköpfe hätten Industrieunternehmen langfristig Geld gegen niedrigere Zinsen zur Verfügung gestellt. Schmidts Versicherungsgesellschaften waren lahm, aber nicht dumm: Sie verlegten sich auf die Vergabe von kurz- oder mittelfristigen Darlehen an Banken und ernteten Zinsen in ungeahnter Höhe. Industrieunternehmen hungerten nach Bargeld. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis Mike Milken und sein Club der Diebe bei der Drexel Burnham Bank als Retter in der Not die Schrottanleihen erfanden. Schmidts Ressort, die Privatplazierungen, erholte sich nie mehr von diesem Schlag und verkümmerte schließlich. Vorläufig zeichnete sich jedoch nur ein so deutlicher Rückgang ab, daß Tim sich einem anderen Gott in Gestalt von Lew Brenner zuwenden konnte (oder war es Voraussicht, wäre er auch dann abgeirrt, wenn er noch wie zuvor genug Arbeit bei Schmidt gehabt hätte?). Brenner, ein paar Jahre jünger als Schmidt, erkannte, daß sein Fachgebiet – Öl- und Erdgasgeschäfte in Nordafrika und dem Nahen Osten – im Aufschwung war. Sehr bald wurde zu Schmidts verhaltenem Kummer offensichtlich, daß Tim internationale Transaktionen ebenso lagen wie die Privatplazierungen in ihrer besten Zeit, daß er sich mit Lew gut verstand und daß Lew eine Chance beim Schopf packen konnte, wenn sie sich ihm bot. Schmidt war zu der Überzeugung gekommen, daß Lew sorgfältig vorausgeplant hatte, Tim in seinen Einflußbereich zu ziehen. Der Mann wußte, was er wollte, der ließ sich, anders als Schmidt, nicht auf dies oder das ein, wie es gerade kam. Auch wenn er sich eingestehen mußte, daß Tim immer fröhlich bereit war, ihm weiterhin in Notlagen und bei besonders verdrießlichen Problemen zu helfen, tat Schmidt der Verlust so weh, daß er, als Dexter Wood ein paar Jahre danach ankündigte, der junge Mann werde die Leitung des Pariser Büros übernehmen – eine von Lew Brenner unterstützte Beförderung – nur die Achseln zuckte und mehrere Tage verstreichen ließ, bevor er Tim gratulierte oder Mary berichtete. Daß Tim nach Paris geschickt wurde, war ganz natürlich. Man sagte, daß sein Französisch nahezu perfekt sei; abgesehen von gelegentlicher Mitwirkung an Schmidts Finanzierungsverträgen, die der Alte beim Firmenessen als Zeichen dafür wertete, daß man mit Tim Pferde stehlen könne, war seine gesamte Arbeit international, und in Paris warteten einige Gelegenheiten zu potentiell interessanten Transaktionen auf ihn; Alice war Französin, hatte aber am Radcliffe College studiert, die Rolle als Ehefrau des Leiters der Pariser Filiale von W & K würde ihr leichtfallen; und angesichts der Mühe, die Mandantenakquisition und Öffentlichkeitsarbeit kosten würden, war vor allem wichtig, daß Tim die Aufgabe wirklich übernehmen wollte.
    Daß er eingeladen war, auf dem Rückweg Alice in Paris zu besuchen, geriet Schmidt nie ganz aus dem Bewußtsein, während er die Life Centers in Mittel- und Osteuropa besichtigte und in den neuen Republiken, die sich von der Sowjetunion gelöst hatten. Sein letzter Aufenthalt war Prag. Auf dem Weg zum Abendessen mit seinen tschechischen Kollegen stolperte er auf einer der mit Kopfstein gepflasterten Straßen der Malá Strana und verstauchte sich seinen Knöchel so übel, daß er wie auch der Arzt in der Notaufnahme fürchteten, er sei gebrochen. Röntgenaufnahmen zeigten, daß es sich nicht um einen Bruch, sondern nur um eine schlimme Zerrung handelte, und sobald der Knöchel geschient war, konnte Schmidt nach Paris aufbrechen. Aber nicht, bevor der Direktor des tschechischen Büros ihm einen geschnitzten Krückstock seines Vaters geschenkt hatte, damit Schmidt nicht ohne Stütze herumhumpeln mußte. So kam es, daß er an einem sonnigen Aprilmorgen auf einem der grünen Metallstühle am Bassin in den Tuilerien saß, mit seinem Stock Linien und Kreise in den Sand zeichnete, den Kindern und ein paar älteren Amateuren beim Fernsteuern ihrer Segelboote zusah und auf seine einzige Tochter Charlotte wartete. Eltern und Großeltern! Sein Umgang mit Charlotte undihrem Ehemann war scheußlich gewesen: Er war auf ein unangenehmes Zwiegespräch vorbereitet. Sie war in Paris, zusammen mit ihrem Mann, dem Anwalt Jon Riker, der als junger Angestellter für Schmidt gearbeitet hatte. Auch er ein favorisierter Mitarbeiter,

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