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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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der sich des Verrats schuldig gemacht hatte; das dachte sich Schmidt, wagte es aber nicht laut zu sagen. Tim war einem anderen Gott nachgelaufen. Jon hatte es gewagt, erst Charlottes Lebensgefährte und dann ihr Ehemann zu werden.
    Das waren nicht seine einzigen Sünden, andere kamen noch hinzu: daß er Jude war (allerdings bereute Schmidt allmählich, Jons Zugehörigkeit zum auserwählten Volk für einen Mangel gehalten zu haben); daß er Charlotte betrogen hatte und skrupellos mit ihrem Geld umging, belastete ihn am schwersten, zusammen mit der Verfehlung, die dazu geführt hatte, daß W & K ihn vor die Tür setzten. Eine Versöhnung mit ihm war für Schmidt nicht abzusehen. Endlich erschien Charlotte, schön und schick. Zu seinem Erstaunen schlug sie ihm einen Waffenstillstand vor, dessen Bedingungen er akzeptierte. Was hätte er sonst machen sollen? Ich nehme dich, wie du bist, sagte sie, und du nimmst mich, wie ich bin. Wohin uns das führt, werden wir dann sehen. Sie gaben sich die Hand darauf, und sie ging zu dem Treffen mit ihrem Mann. Keine Umarmung, nur dieser Handschlag. Er sah ihr nach, wie sie auf die Pyramide des Louvre zusteuerte, und blieb noch eine ganze Weile auf seinem Stuhl sitzen. Dann machte er sich auf den Weg zur Rue St. Florentin und versuchte dabei, sein ganzes Gewicht auf das gesunde Bein zu verlagern. Am Taxistand war kein Wagen, und es sah nicht so aus, als würde je einer kommen. Wenn er Alice besuchen wollte, ging er am besten zu Fuß in die Rue St. Honoré; die genaue Adresse hatte er in das Notizbuch geschrieben, das in seiner Manteltasche steckte. Er lief dann auch, vorsichtighumpelnd, bis er die Tür ihres Hauses erreichte. Er drückte den Klingelknopf neben der Messingplatte mit den Anfangsbuchstaben der Verplanckschen Vornamen T. und A. Jemand rief mit kratziger Stimme: Oui? Er sagte seinen Namen, und dieselbe Stimme wies ihn auf englisch an, den Aufzug zum dritten Stock zu nehmen.
    Die Wohnung – geräumig, luxuriös und ruhig – hatte Fenster mit Ausblick auf die Gärten hinter dem Gebäude. Alice führte ihn in die Bibliothek, und sobald er sich in einem gepolsterten Sessel niedergelassen hatte, den er überraschend bequem fand, bot sie ihm einen Kaffee an. Oder wäre ihm ein Drink lieber? Es sei bereits nach Mittag, erklärte er ihr, also wage er, um einen Whiskey zu bitten. Sie lachte, verschwand einen Augenblick und kam wieder mit einer älteren Frau – Alice stellte sie vor: Madame Laure –, die ein großes Tablett mit einer Karaffe, Perrier, Eis und einem Glas Tomatensaft, offenbar für Alice, vor sich her trug. Nachdem er ihr sein Beileid wegen Tim ausgedrückt und nachdem sie ihn gefragt hatte, warum er hinke, ging ihm der Gesprächsstoff aus, und er hatte das Gefühl, sie sei womöglich in der gleichen Verlegenheit, in dem Falle müsse er den Besuch vielleicht beenden. Andererseits fand er, seinen Whiskey auszutrinken und sich nach weniger als einer halben Stunde wieder zu verabschieden sprenge den Rahmen des guten Benehmens. Dazu kam, daß er gar nicht gehen wollte: Er fühlte sich viel zu wohl in diesem ruhigen Raum in der Gesellschaft einer liebenswürdigen und sehr eleganten Frau. Einer Frau, die ihn einschüchterte, das muß gesagt sein, obwohl er gewiß war, daß dies nicht in ihrer Absicht lag. Eines war ihm klar: Wenn er bleiben wollte, mußte er mehr bieten als den Austausch von Banalitäten, von Formalitäten, die Emily Post in ihren Benimmbüchern wahrscheinlich als passend empfahl für eine Konversation zwischen einem Seniorpartner und derWitwe eines jüngeren Kollegen, der er seine Aufwartung macht.
    Alice, stieß er hervor, Tim hat den Kontakt auf eine Art abgebrochen, die mich sehr bekümmert: Er hat mich weder wissen lassen, daß, noch warum er vorhatte, in den Ruhestand zu gehen; er hat mir überhaupt nichts gesagt. Dann kam die schreckliche Nachricht von seinem Tod, aber zwischen seiner Pensionierung und diesem furchtbaren Tag gab es keinerlei Verbindung. Irgendwas muß wirklich zerbrochen sein. Wir haben sehr eng zusammengearbeitet, gleich von Anfang an, als er nur angestellter Mitarbeiter war, und mehr oder weniger auch noch in der ersten Zeit, als er Partner geworden war, bis ein paar Jahre vor eurem Umzug nach Paris.
    Er wußte natürlich, daß du unglücklich warst, als er anfing, soviel mit Lew zusammenzuarbeiten, antwortete Alice.
    Alice, Liebe, ich habe in ihm den Sohn gesehen, den ich gern gehabt hätte. Seine Arbeit für Lew hat daran

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