Schmidts Einsicht
vier vertrugen uns sehr gut. Vater erreichte, daß Tommy in einen Segelclub in Cap d’Antibes aufgenommen wurde, und Tommy war selig. Er fühlte sich wie ein richtiger Einheimischer.
Als wir wieder nach Paris kamen, fanden wir Tim schon vor, er hatte seine Zeit in Bar Harbor verkürzt, und ein paar Tage danach baten er und Bruno mich sehr förmlichum eine Unterredung und erklärten mir zum ersten Mal, daß er ein paar Jahre zuvor HIV positiv getestet worden war. Die Ärzte hätten ihm alle möglichen Medikamente verordnet, die angeblich seine Krankheit in Schach halten würden, aber wie wir alle gemerkt hätten, wirkten sie nicht. Er müsse sich den Tatsachen stellen: Die Zeit für seinen Abschied von der Firma sei gekommen. Er sei nicht mehr in der Lage, das Pariser Büro zu leiten. Er könne sich auch nicht denken, daß ihm noch irgendeine Anwaltsarbeit möglich sei. Jetzt weißt du, warum er sich so früh aus der Kanzlei zurückzog. Ich machte mir natürlich schreckliche Sorgen, weil ich nicht wußte, ob er mich angesteckt hatte – es gab keinen Grund, der das ausschloß. Ich ließ einen Virustest machen, der negativ war, und dann noch zwei, um ganz sicherzugehen, und schließlich überzeugte mich der Arzt, daß ich nicht fürchten müsse, das Virus stecke verborgen in mir, weil ich schon im Juli 1985, kurz bevor Sophie starb, zum letztenmal Sex mit Tim gehabt hatte. Tommy habe ich nichts von meinen Sorgen gesagt. Aber er hat einen extrem klaren Kopf und sah von allein, wie es um seinen Vater stand. Auch er las Zeitung. Eines Tages fragte er mich nach der Schule, ob ich dächte, daß ich auch Aids bekommen würde. Kannst du dir seine Angst vorstellen? In dieser Zeit machten wir den zweiten großen Fehler mit Tommy, fürchte ich. Er war in St. Paul’s angemeldet und sollte im Herbst dort anfangen, aber wir ließen ihn im lycée in Paris. Ich dachte – und Tim wohl auch –, es sei besser für ihn hierzubleiben, als sich auf diese sehr konkurrenzbetonte, fremde Umgebung einstellen zu müssen. Ich hatte Angst, das sei mehr, als er aushalten könne.
Wo ist er jetzt? fragte Schmidt.
Auf dem Yale College, erklärte sie ihm, mit Hauptfach Mathematik. Im lycée war er brillant, bestand das Bakkalaureat mit Auszeichnung und gewann im nationalen Wettbewerb eine Goldmedaille in Mathematik. Jetzt schlägt er sich in Yale genauso brillant. Leider hatte er sich, schon bevor er aus dem Haus ging, ganz und gar von uns distanziert. Eine Mauer stand zwischen ihm und uns. Wer kann es ihm verdenken? Tim, mein Vater und ich, wir hatten alle nicht damit gerechnet, wie verstörend für ihn das Leben mit Tim und mir sein würde. Als Tim im Sterben lag, kam Tommy in seinem zweiten Collegejahr in den Winterferien aus Yale, um ihn zu sehen, und blieb bis zum Ende, aber das war sein erster Besuch in Paris, seit er in New Haven lebte. Jetzt ist er in den Ferien immer bei Tims Eltern, in Cold Spring, der Wohnung in New York oder dem Haus in Bar Harbor. Mein Vater hat versucht, ihn nach Antibes zu locken. Er wurde kalt abgewiesen. Monster sind diese Verplancks, aber er ist lieber bei ihnen! Sie haben sich nicht um Tim gekümmert, als er krank war, und sind nicht zu seiner Beerdigung gekommen, obwohl sie praktisch nebenan stattfand. Lew Brenner hatte Kontakt zu ihnen, und er erzählte mir später, daß sie jede Vermutung, Tim sei schwul gewesen und an Aids gestorben, weit von sich wiesen. In ihrer Version starb er an einem rapide metastasierenden Krebs, und ich hätte mich geweigert, mich um ihn zu kümmern. Das Traurige ist, daß Tommy auf einer Linie mit ihnen war und auch glaubte, ich hätte mich geweigert, für seinen Vater zu sorgen. Aber ich weiß nicht, wie ich mich hätte kümmern können, selbst wenn ich ihn noch geliebt hätte. Für mich war kein Platz mehr. Bruno und Tim entschieden, daß er in Chantilly wohnen und von Pflegern versorgt werden solle – von lauter Männern, alle homosexuell –, die Bruno ausgesucht hatte. Bruno bot sogar an, mir das Haus abzukaufen! Ich konnte nicht mehr tun, als Tim zu besuchen, und das tat ich. Es zog sich quälend lange hin, Schmidtie, mit Wunden oderkleinen Krebsgeschwüren auf der Haut, Lungenentzündungen, dann Lungenkrebs, der in die Leber und das Gehirn streute. Dieses Haus war voller Schußwaffen, ich werde nie verstehen, warum weder Tim noch Bruno eine Flinte aus dem Gewehrschrank nahmen und ein Ende machten. Die Art, wie er dann starb, war ein solcher Betrug. In der Zeit, die ihm
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