Schmidts Einsicht
das Bestellte kam, war nicht vorauszusehen. Unverschämt, wieviel Zeit diese blöden Araber oder Portugiesen in der Speisekammer brauchten, um vier – oder vielleicht sechs – Scheiben kaltes Roastbeef zu schneiden, auf den Teller zu legen, ein paar Salatblätter und Cornichons dazuzupacken und die Weinflasche aus dem klimatisierten Schrank zu holen. Oder hatten sie den Wein unten im Keller gelagert? Wenn es so war, hatte er einen fatalen Fehler gemacht, als er einen guten Wein bestellte. Die Zeit, die der Kellner brauchte, um von der Speisekammer bis zum Zimmer zuwatscheln, kam noch hinzu. Mist! Sein Ärger drohte in kalte Wut umzuschlagen. Wie kam sie dazu, ihre Meinung zu ändern und auf einmal anderswo essen zu wollen? In der Minibar waren Gin und Wermut und Pikkoloflaschen Champagner. Er überließ ihr die Wahl und hörte aus ihrer Ablehnung die affektierte Wohlerzogenheit, mit der eine Schülerin in der Abschlußklasse von Miss Porter’s Pensionat auf einen unsittlichen Antrag reagiert. Tant pis , dein Pech, Kleine! Er mischte sich einen Martini, der so gediegen war wie das Crillon, reichte ihr den Perrier, den sie sich nachträglich erbat, stellte ein Glas Macadamianüsse mitten auf den Sofatisch und ließ sich in den zu stark gepolsterten Sessel sinken. Die Beine gekreuzt, mit einem Gesichtsausdruck, den seine reizende Tochter als den des »Hunnen Schmidt« bezeichnete – meine Güte, woher hatte sie wohl die entzückende Idee, womöglich von ihrer wunderbaren Schwiegermutter? –, widmete er sich seinem Martini und den Nüssen.
Sein Sinnieren wurde von einem Klopfen an der Tür unterbrochen, dann kam der Kellner und rollte den Tisch ins Zimmer. Endlich konnten sie essen. Er probierte den Wein. Überteuert, aber besser, als er ihn in Erinnerung hatte. Mit grimmiger Befriedigung stellte er fest, daß Alice den Kellner nicht daran gehindert hatte, ihr Glas zu füllen. Danke, sagte er dem Kellner, Sie brauchen nicht zu warten. Wir bedienen uns selbst, und ich rufe an, wenn es Zeit ist, den Tisch wegzuräumen. Zu Alice gewendet, durch die Martinis und den Wein in besserer Stimmung, sagte er: Endlich allein!
Ich bin froh, daß es dir wieder bessergeht, erwiderte sie.
Besser? Nein. Ich bin verwirrt und wütend auf mich, erklärte er ihr. Denken zu müssen, ich hätte dich ausgenutzt, mißfällt mir. Wahr ist, daß du mich überwältigt hast. Als ich dir sagte, ich würde mich gerade in dich verlieben, warich vollkommen ehrlich. Ich bin verliebt, wirklich. Senile Schwärmerei! Du kannst mich albern nennen, hitzköpfig, unrealistisch, was du willst, aber passiert ist es. Wirklich und wahrhaftig. Ich habe mir deine Geschichte angehört, die trauriger ist als alles, was ich mir hätte vorstellen können. War es falsch, daß ich sie hören wollte? Ich habe dich meinen Kognak trinken lassen – die Betonung liegt auf lassen, aufgedrängt habe ich ihn dir sicher nicht –, und ich habe dir meine Zuneigung und Bewunderung dargeboten, vielleicht im falschen Moment, da du verwundbar warst. War das unfair? Was soll ich nun machen? Ich wünsche mir jedenfalls nicht, daß nichts passiert wäre. Dich zu lieben war ein Wunder. Der Gipfel des Glücks für mich.
Ich fand es auch schön, sagte sie. Sehr schön.
Dann gib mir nicht das Gefühl, ich hätte dir unrecht getan. Sag nie wieder solche Sachen wie vor ein paar Minuten. So etwas nehme ich sehr schwer, ich kann nicht anders. Es tut mir weh. Du magst tausend Gründe haben, dich nicht von mir lieben zu lassen. Mein Alter steht sicherlich ganz oben auf der Liste, aber ich bin sehr gesund, und ich würde alles tun, was in der Macht eines Mannes steht, um dir ein gutes Leben zu bieten, falls noch einmal ein Wunder geschieht und du damit einverstanden bist.
Schmidtie, sagte sie, dein Alter macht mir keine Angst, und ich glaube, ich wäre auch in nüchternem Zustand mit dir ins Bett gegangen, nur wahrscheinlich nicht so schnell. Aber sprich nicht von Ehe, Dauer, Zukunft. Nicht jetzt, noch nicht. Das ist einfach töricht. Wir sollten die Dinge auf uns zukommen lassen, eins nach dem anderen.
Offenbar stimmt irgendwas nicht mit mir, sagte sich Schmidt. Alles in allem hörte Alice sich jetzt an wie seine wunderbare, einundzwanzigjährige Carrie, die ihm nach einem seiner wiederholten Heiratsanträge gesagt hatte: Vergiß es! Da war natürlich der Altersunterschied gewaltig gewesen: mehr als vierzig Jahre, dazu kam, nach seiner Überzeugung noch wichtiger für Carrie, der
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