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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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zu ihren Brüsten zurück. Stumm schlang sie die Arme um ihn und erwartete seinen Kuß, während ihre rechte Hand nach unten wanderte, um seine Reaktion zu ertasten. Unverhofftes Glück! Als sie danach Seite an Seite lagen, erschöpft und einander bei der Hand haltend, sagte sie, sie habe Hunger.
    Gehst du mit mir essen in dem schönen Restaurant im Parterre? Oder findest du, ich bin nicht gut genug angezogen?
    Im Augenblick bist du das nicht, antwortete er, aber wenn du dich wieder anziehst, wirst du die bestgekleidete Frau dort sein. Alice, wie ist es zu diesem Wunder gekommen?
    Du hast mir zuviel Kognak gegeben. Ich war benebelt.
    Sein Glück verwandelte sich abrupt in Angst.
    Das ist es gewesen? Ich alter Bock habe die Gelegenheit ausgenutzt?
    Du bist kein alter Bock, erwiderte sie. Du bist sehr nett, und ich mag dich. Aber ich war sehr beschwipst. Wäre ich nüchtern gewesen, wäre es nicht passiert. Darum finde ich es so falsch. Ich wünschte, es wäre nichts passiert. Wärst du doch nicht hierhergekommen.
    Er machte sie nicht darauf aufmerksam, daß sie sich gerade wieder geliebt hatten, nachdem die Wirkung des Kognaks, der ihr so zugesagt hatte, mit Sicherheit verflogen war. Statt dessen rief er, kaum seiner Stimme mächtig, im Restaurant an und bat um eine Reservierung, wartetedann, solange sie hinter verschlossener Tür im Bad war und bis sie sich im Schlafzimmer angekleidet hatte.
    Als sie fertig war, fragte sie, ob er sich nicht anziehen wolle. Den Ton ihrer Stimme fand er sonderbar kühl, an der Grenze zur Kälte. Ja, sagte er, ich ziehe mich sofort an. Das Duschen kann warten. Als er wieder aus dem Badezimmer herauskam – er hatte uriniert und sich Gesicht und Hände mit kaltem Wasser gewaschen –, fand er sie im Wohnzimmer; sie blätterte in dem New Yorker , den er am Tag zuvor bei W. H. Smith gekauft hatte. Sollen wir gehen? fragte er mit rauher Stimme. Er trank einen Schluck Wasser aus einem der Gläser, die der Kellner auf dem Sofatisch abgestellt hatte, und versuchte, möglichst so zu klingen wie bei ihrer Begegnung vor nicht allzu vielen Stunden – liebenswürdig und zuvorkommend –, merkte aber, daß sein Versuch wenig überzeugend war.
    Wirst du dich jetzt über mich ärgern? antwortete sie mit einer Gegenfrage. Hier ist es so gemütlich und so ruhig. Könnten wir nicht hier essen? Etwas, das man leicht servieren kann und das nicht lang dauert? Ich hatte wirklich nichts von alldem hier beabsichtigt.
    Aber sicher, erklärte er. Um die Fassung zu wahren, schob er eine CD mit Klaviersonaten von Beethoven in das Gerät des Hotels, machte die Reservierung rückgängig, rief dann den Zimmerservice an und bestellte ein kaltes Abendessen mit einer Flasche gutem Burgunder, den das Hotel nach seiner Einschätzung reichlich überteuert verkaufte. Er war voller Verdruß – über sie und über sich. Warum hatte sie sich entschieden, ihm Verplancks schreckliche Geschichte bis in alle grausigen Einzelheiten zu erzählen? Warum die scheußliche Wahrheit überhaupt erzählen? Sie hätte ihn beruhigen können, etwa mit Notlügen von einem langen Kampf gegen den Krebs, der ihn erst arbeitsunfähig gemacht und dann getötet habe. VieleLeute wollten nicht, daß ihre Krankheit bekannt wurde. Eine Geschichte von der Sorte hätte Tims Wunsch entsprochen: Hatte sie nicht irgendwann gesagt, es sei ihm besonders wichtig gewesen, niemanden wissen zu lassen, daß er Aids hatte? Und danach, warum hatte sie ihn irregeführt? Sie mußte wissen, wieviel Kognak sie vertrug; alt genug war sie, und sie war Französin, kein Dussel aus Dubuque! Natürlich war er erst recht dämlich gewesen: Er hatte diesen Bekenntnisstrom nicht abgebremst, ihr seinen Brandy überlassen und ihren Köder geschluckt. Auch er war alt genug, es besser zu wissen und sich nicht dem Unmut, ja den Vorwürfen einer Frau auszusetzen, die eher ihn in die Irre geführt hatte als umgekehrt. Das letzte Mal hatte er sich als frischgebackener Sozius auf diese Weise zum Narren gemacht, damals hatte er draußen an der Westküste Jurastudenten befragt, die sich um eine Stelle in seiner Firma bewarben, und sich von einer Kandidatin zum Haschrauchen überreden lassen und halb nackt auf einem Futon einen Ringkampf mit ihr veranstaltet! Aber, großer Gott, das war gut fünfundzwanzig Jahre her, und die Frau war nicht die Witwe eines Juniorpartners gewesen!
    Jetzt blieb ihnen nur noch, an den Fingernägeln zu kauen, solange sie auf den Zimmerservice warteten. Wann

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