Schmidts Einsicht
beim Essen saß. Lew winkte nicht nur zurück, sondern stand vom Tisch auf und lud Schmidt ein, sich zu ihnen zu setzen. Sie hätten gerade erst bestellt, und am Tisch sei noch Platz für Schmidtie. Tina würde sich sehr freuen! Technische wie gesellschaftliche Fortschritte hörten nie auf, Schmidt zu faszinieren. Er war seit über zwanzig Jahren Mitglied dieses besonderen Clubs, aber nie auf die Idee gekommen, daß Lew vielleicht gern selbst Mitglied sein oder zur Mitgliedschaft eingeladen würde. Seine Wahl mußte vor kurzem stattgefunden haben. Gut für Lew, der sich wohl zu fühlen schien, und gut für den Club, nahm Schmidt an.
Ich leiste euch gern Gesellschaft, sagte er zu Lew. Sehr freundlich von euch.
Es ging nicht anders. Wenn zwei Partner von W & K zusammenkamen, war es aus mit der Konversation, auch wenn eine Ehefrau dabeisaß, und es gab nur noch Fachsimpelei, die ihnen immer leichter von den Lippen ging, während sie erst die Flasche Bordeaux leerten, die Schmidt bestellt hatte, und dann Lews Burgunder. Danach gedachten sie kurz der Opfer des Attentats in Oklahoma City und drückten ihr Entsetzen über die ungeheure verbrecherische Tat aus und ließen dann Revue passieren, was sich in der Firma ereignet hatte: die jüngsten Fehlentscheidungen von Jack DeForrest, der immer noch leitender Partner war, wichtige Ergänzungen der Mandantenliste und welchem Partner sie zu verdanken waren, die finanziellen Ergebnisse des ersten Vierteljahres und die wahrscheinlichen Kandidaten für die Wahl zur Partnerschaft, die nicht mehr wie früher Ende des Jahres, sondern im Juni stattfand. Dann holten sie tief Luft.
Ich war gerade in Paris, sagte Schmidt. Ich habe mich dort ab und zu mit Alice Verplanck getroffen.
Es war heraus, und er hatte nicht anders gekonnt. Er wollte ihren Namen sagen, spüren, wie er sich auf seinen Lippen formte. Sie hat wirklich eine schwere Zeit hinter sich, fügte er hinzu, in der Meinung, dies sei die mildeste Feststellung, die er machen könne, wenn er nichts Schroffes sagen wollte. Es wäre leichter gewesen, wenn er nicht erfahren hätte, daß Lew längst über Tims Homosexualität und Aids-Infektion Bescheid wußte.
O ja, antworte Lew, eine Tragödie. Wir haben sie Schritt für Schritt mitverfolgt. Tina sagte immer, ich dürfe nicht ständig daran denken, aber Tim ging mir nicht aus dem Kopf, wie auch? Alice war die ganze Zeit sehr loyal, das muß ich ihr lassen, aber ohne Bruno …
Seine Stimme versagte, ihm fehlten – ganz untypisch für ihn – die Worte.
Brenner war ein guter Mann, fand Schmidt, und er war ein guter Partner gewesen. Der würde kein Spiel mit ihm treiben. Deshalb sagte er: Lew, ich habe von Alice viel über Tims Geschichte erfahren. Sie hat es mir erzählt. Ich nehme an, Tina weiß Bescheid?
Plötzlich war ihm der Gedanke gekommen, daß er womöglich kurz davor war, eine schwere Indiskretion zu begehen.
O ja! Tim hat es mir an einem Wochenende erzählt, als Alice und er bei uns auf dem Land waren, bevor er mitLew redete, warf Tina ein. Mir konnte er sich leichter anvertrauen. Wir waren beide im Aufsichtsrat des Balletts, deshalb wußte er, daß ich eine Menge schwule Freunde habe, Männer, mit denen ich mich wirklich gut verstehe. Schwule mögen mütterliche Frauen, von denen sie sich nicht bedroht fühlen. Also erzählte er mir auf einem langen Spaziergang, wie sehr er Alice und die Kinder liebte und alles, aber daß er auch diese andere Seite habe und eben Bruno. Ich sagte, er könne mit Lew reden, Lew würde ihn verstehen. Später lernten wir Bruno kennen. Was für ein charmanter Mann! Zu schade, daß er im falschen Team spielt.
So ist es, stimmte Lew ein, er machte sich Sorgen, was ich wohl sagen, wie ich reagieren würde. Das war natürlich erst, als die Affäre mit Bruno bereits heftig in Gang gekommen war, und ein paar Monate bevor sie nach Paris umzogen.
Warte mal, sagte Schmidt. Heißt das, er hat es dir erzählt, bevor er nach Paris ging, also ein paar Jahre bevor Alice es herausfand, im Sommer fünfundachtzig, unmittelbar nachdem ihre Tochter Sophie gestorben war? Du hast es gewußt – Alice hat nur von dir gesprochen, sie hat Tina nicht erwähnt –, und sie selbst hatte die ganze Zeit keine Ahnung?
So kann man es sehen, das ist eine Möglichkeit, antwortete Lew. Wenn man sich an die Fakten hält, ist das korrekt. Er hat es Tina und mir erzählt. Wir haben den Mund gehalten, und Tim und Bruno ebenfalls. Daß man so unbedingt im Verborgenen
Weitere Kostenlose Bücher