Schmidts Einsicht
meinem Vater und Janine zu helfen. So heißt seine Freundin. Die andere Sache ist, daß ich hoffe, Tommy begreift, daß sein Großvater jetzt sehr alt ist, und besucht ihn deshalb. Wenn es dazu kommt, möchte ich mit ihnen zusammensein. Laß uns im Juni darüber reden, wenn du wieder hier bist. Bis dahin müßte alles viel klarer sein.
Salve , Schmidtie! Ein Mann, der Popov sein mußte, da er sich von dem Tisch erhob, an dem er mit Alice saß, ging auf Schmidt zu und streckte die Arme aus, um ihn an sich zu ziehen. Wie lange ist es her seit unseren Anfängen im College? Fünfundvierzig Jahre! Du hast dich nicht verändert, alter Gauner! Das gleiche rote Haar und die gleiche griesgrämige Miene.
Der Umklammerung, die von einem slawisch klingenden Grunzen begleitet war, konnte er sich nicht entziehen, aber als Popov ihm die Wange oder den Mund hinhielt, wie immer diese Geste zu interpretieren war, duckte Schmidt sich weg, gab Alice einen Wangenkuß, setzte sich und musterte seinen Gastgeber. Dünner war er geworden und gebeugter, das Haar, ehemals von einem mit Brillantine verkleisterten Braun, war jetzt grau und spärlich, aber der speckige schwarze Zweireiher, der, wie Schmidt meinte, nach einem chemischen Reinigungsdienst schrie, war eine Nachbildung des Kleidungsstücks, das Popov als Collegestudent tagein, tagaus getragen hatte. Nichts davon war überraschend; Schmidt malte sich aus, mit welcher Schadenfreude Popov seinerseits registrieren mochte, was die Jahre Schmidt angetan hatten, vorausgesetzt, Popov machte sich die Mühe, genau hinzusehen und sich zu erinnern. Popov bestellte, leerte sein Weinglas, füllte es wieder und überschüttete Alice mit einem rasanten, nur von seinem glucksenden Lachen unterbrochenen Strom von Anekdoten über den Autor, den er auf der Lesereise begleitet hatte, und alle möglichen anderen Literaten und Verlagsleute, die er immer nur beim Vornamen nannte. Schmidt war von der Unterhaltung ausgeschlossen, er nahm es gelassen hin. Es war nicht viel anders als in den alten Zeiten die Plaudereien zwischen Mary und ihrem Verleger und befreundeten Agenten. Vermutlich hatte Alice Popov seit seiner Rückkehr am Tag zuvor noch nicht gesehen, war völlig gefesselt von seinen Erzählungen und versuchte deshalb nicht, Schmidt ins Gespräch zu ziehen. Auch das war ihm sehr recht. Daß er seinen Lauchsalat in Ruhe verzehren konnte, war mehr, als er erwartet hatte. Als aber sein geräucherter Schellfisch auf den Tisch kam, endete die Atempause.
Popov drehte den Kopf zum erstenmal in seine Richtung und verkündete: Du bist ein einflußreicher Philantrop geworden. Allerhand für einen Rechtsanwalt!
Wie diese Bemerkung gemeint war, wußte Schmidt nicht genau, fand sie aber kränkend. Egal, er würde sich nicht reizen lassen.
Ich habe nicht viel Einfluß, sondern nur das Glück, daß mein Nachbar Mike Mansour kürzlich beschlossen hat,mir einen Job zu geben. Du weißt es vielleicht nicht, aber ich habe mich vor ungefähr drei Jahren, nachdem meine Frau gestorben war, aus der Kanzlei zurückgezogen.
Was für ein Verlust, rief Popov. Diese brillante Mary Ryan, so hieß sie am Radcliffe, das war ihr Mädchenname! Mary Ryan, Lois Witherspoon und Ginny Burbank: drei Zimmergenossinnen, ach, eine schöner und intelligenter als die andere! Ich wette, Schmidtie, du hast nicht gewußt, daß ich mit ihnen eng befreundet war. Sie kamen drei Jahre nach uns aufs College, aber ich ging mit ihnen aus. Jüngere Frauen habe ich schon immer gemocht.
Hier sah er Alice an und schlug ihr spielerisch auf den Arm.
Ich glaube nicht, daß du Mary auf dem College kanntest, aber ich habe sie gut kennengelernt, fuhr er fort. Du, mein Freund Gil Blackman, mein Mitbewohner Kevin, ihr seid alle nach dem Examen weggegangen, aber ich bin geblieben und habe weiterstudiert. Als ich etliche Jahre danach ins Verlagswesen ging, haben Mary und ich die Verbindung wiederaufgenommen. Natürlich! Was war sie für ein Energiebündel! Niemand im amerikanischen Verlagswesen konnte ihr das Wasser reichen.
Das habe ich auch immer gehört, erwiderte Schmidt.
Er spürte, wie sich freundlichere Gefühle für Popov in ihm regten. Es tat gut, daß er Mary vor Alices Ohren rühmte.
Ah ja, und welch schöne Zeiten hatten wir auf der Frankfurter Buchmesse!
Popov schnalzte mit der Zunge und rollte die Augen. Nach einer kurzen Pause redete er weiter.
Ich habe Alice aus einem besonderen Grund gebeten, uns zusammenzubringen. Der Grund ist dein
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