Schmidts Einsicht
Nachbar und Arbeitgeber Mr. Mansour. Wir, eine Gruppe von Verlagsleuten, finden es an der Zeit, einen prestigeträchtigenwichtigen Preis für die beste Prosaarbeit und das beste lyrische Werk in arabischer Sprache zu stiften, der jährlich verliehen werden sollte. Die Jury wäre von höchster Qualität. Wir denken, Mr. Mansour könnte für ein solches Projekt ein offenes Ohr haben, da er ja selbst aus dem Nahen Osten stammt, und du wärst der Richtige, es ihm vorzustellen.
War das der Grund für dieses Mittagessen? fragte sich Schmidt. Wenn es sich so verhielt und wenn Popov und seine Freunde bis jetzt noch nicht von sich aus versucht hatten, Mike anzusprechen, mußten sie an die Kraft des Wunschdenkens glauben. Was sonst hätte dazu geführt, daß er und Schmidt, der durch Zufall Kontakt mit Mike hatte, und Alice, die Popovs Kollegin war, zufällig zusammenkamen?
Es ist nicht unmöglich, daß Mansour daran interessiert wäre, erklärte er Popov. Er liest ziemlich viel, auch wenn es sich dabei nicht um Belletristik handelt. Wenn ihr einen Vorschlag habt, solltet ihr den an seinen Berater Paul Holbein schicken. An die Adresse der Hauptverwaltung von Mansour Industries. Da dies nicht in den Bereich der Stiftungsarbeit fällt, würde Mike einen solchen Vorschlag nicht mir, sondern Holbein zur Beurteilung weiterreichen, bevor er ihn selbst ansähe. Ich will gern beiden einen Hinweis geben, daß du mit mir gesprochen hast.
Das ist sehr freundlich von dir, sagte Popov. Ich habe noch ein anderes Anliegen oder auch eine Frage. Alice hat mir von den Büros der Stiftung erzählt, die du aufgesucht hast. Warum gibt es keins in Sofia, in Bulgarien? Du weißt es vielleicht nicht, aber ich habe eine hochwichtige Beziehung zu Bulgarien, und ich verstehe dieses Versäumnis als eine Kränkung.
Schmidt zog die Brauen hoch.
Ein Grund dafür ist das Ausmaß der Korruption in Bulgarien. Die Stiftung gründet keine Schulen, Denkfabriken oder Universitäten. Sie gibt bestehenden Institutionen Geld und arbeitet mit ihnen zusammen. Fungiert als Ratgeber. Finanziert Gastaufenthalte ausländischer Wissenschaftler und Politiker und ermöglicht führenden Köpfen oder potentiellen führenden Politikern aus dem Inland Besuche in den Vereinigten Staaten. Manchmal organisiert sie Seminare und Vorträge. Wir fürchten, das Risiko ist hoch, daß Geldzahlungen an bulgarische Institutionen praktisch in jedem Fall gestohlen werden.
Das ist eine Kränkung. Popov war laut geworden.
Du hast gefragt, sagte Schmidt, also gebe ich dir Antwort.
Popov sah ihn finster an: Denkst du etwa, es ist dort schlimmer als in Rumänien oder Ungarn, wo ihr Büros habt?
Die Unterschiede sind graduell, aber ja, man hat uns gewarnt, daß es schlimmer sei.
Das kränkt mich, wiederholte Popov.
Schmidt bemerkte Alices Hand auf Popovs Ärmel. Falls sie ihn beschwichtigen wollte, war ihre Mühe umsonst.
Du weißt vielleicht nichts von meiner Lebensgeschichte, fuhr Popov fort.
Ich weiß nur, daß du in Bulgarien geboren bist und irgendwann im Krieg oder danach fliehen mußtest oder vertrieben wurdest.
Gar nichts weißt du, erklärte Popov. Mein Vater war der letzte Justizminister unter Zar Boris III., dem heroischen Herrscher, der von den Deutschen ermordet wurde, weil er nicht zuließ, daß sie bulgarische Juden nach Auschwitz schickten. Der Vater meines Vaters war bis zu seinem Tod Haushofmeister Seiner Majestät. Mein Großvater starb im eigenen Bett in seinem eigenen Palast an Altersschwäche, aber mein Vater wurde zusammen mitPrinz Kyrill, dem Bruder des Zaren, anderen Mitgliedern des Regentschaftsrats und hochrangigen Patrioten von den Kommunisten ermordet. Ich hatte das Glück, Ihre Majestät, die Zarina, ins Exil begleiten zu dürfen. Meine Ausbildung im Internat und in Harvard wurde dank ihrer Gnade aus der königlichen Schatulle bezahlt. Ich bin Zar Simeon II. in persönlicher Freundschaft verbunden. Er ist jünger als ich, aber wir kennen einander von Kindesbeinen an. Ich finde deine Diskriminierung meines Geburtslandes untragbar.
Er hatte einen finsteren, überheblichen Ausdruck im Gesicht, der Schmidt wieder die zum Glück seltenen Gelegenheiten in Erinnerung rief, da Popov unerwartet in Schmidts und Gil Blackmans gemeinsamer Wohnung im College aufgetaucht war und sich in jede beliebige Diskussion über Politik und neue europäische Geschichte stürzte, die gerade stattfand. Sein Akzent war fast unverändert: Er hatte ein Element, das nicht genau
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