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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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zuzuordnen war, aber irgendwie slawisch klang, und jetzt, da er in Frankreich lebte und vermutlich meistens Französisch sprach, kam ein gallischer Akzent dazu. Auch das Gurgeln, das seine Ausbrüche von Eloquenz, Zorn oder Heiterkeit schon damals begleitet hatte, war unverändert.
    Das ist eine sehr eindrucksvolle und natürlich sehr traurige Geschichte, erwiderte Schmidt. Ich kann nur hoffen, daß du deine Verbindungen in Bulgarien nutzen kannst, um mitzuhelfen, daß das Land besser verwaltet wird – jetzt, da es nicht mehr unter kommunistischer Herrschaft ist.
    Auch sonst hast du keine Vorstellung von meiner Geschichte, sonst würdest du nicht so fröhlich vorschlagen, daß ich mich der bulgarischen Politik verschreibe. Im College und beim Graduiertenstudium und auch, als ich der Herausgeber von Currents wurde, hatte ich Hoffnungendarauf gesetzt. Daß du ein Leser dieser Zeitschrift warst, ist wohl nicht anzunehmen.
    Schmidt bestätigte, daß er leider nicht zu den Lesern gehört habe.
    Das wundert mich nicht. Dann weißt du auch nicht, daß diese richtungsweisende Zeitschrift in den USA und Westeuropa entscheidenden Einfluß auf das politische Denken in den intellektuellen Milieus hatte. Aber nicht lange nachdem ich die Leitung dieser Zeitschrift übernommen hatte, lernte ich meine Frau kennen. Sie stammt aus einer Familie, die zum französischen Hochadel gehört, und für sie kam es nicht in Betracht, sich in den Vereinigten Staaten niederzulassen, wohin Currents aufgrund von Finanzierungserwägungen zurückkehren mußte. Sie fand die Philistermentalität und das kleinbürgerliche Denken von neunundneunzig Prozent deiner Landsleute unerträglich. Ich sehe mich gezwungen, dem hinzuzufügen, daß auch ich diese Mentalität immer weniger ertrug. So geschah es, daß ich mich in die Welt der französischen Verlage begab, in der du mich jetzt findest. Zu unserem Unglück traf uns zudem bald ein Schicksalsschlag, der meine Möglichkeiten, meinem Land zu dienen, noch weiter einschränken sollte. Meine Frau war eines der letzten Opfer einer Polioepidemie. Tanny LeClercq erkrankte 1956 an Kinderlähmung, meine Solange 1959, kurz nach der Geburt unseres zweiten Sohnes. Gelähmt von der Taille abwärts.
    Das bedaure ich zutiefst.
    Popov schnaubte verächtlich. Ja. Natürlich wirst du jetzt, da wir uneins über Bulgarien sind und da du erkannt hast, wie falsch du meine Stellung beurteilt hast, mein Projekt, einen Literaturpreis für Dichtung aus dem Nahen Osten zu stiften, nicht mehr unterstützen.
    Weit gefehlt, sagte Schmidt.
    In der Geschichte der Menschen und der Nationen gibtes eine Kontinuität, fuhr Popov fort. Ressentiments spielen eine Rolle. Wilhelm II. Churchill. De Gaulle. Auch ich bin es gewohnt, Ressentiments ausgesetzt zu sein. In der Schule und dann auf dem College. Versuch nicht, es abzustreiten. Ich habe den Kopf zu hoch getragen, ich war mir meiner wirklichen Position, die den Anschein so weit übertraf, zu sehr bewußt.
    Er versank in noch tieferen Trübsinn.
    Alice, die bis dahin geschwiegen hatte, sagte energisch: Wir müssen jetzt wirklich gehen.
    Sie rief den Kellner und zahlte zu Schmidts Überraschung die Rechnung. Popov war derjenige, der Alice und ihn zum Essen eingeladen hatte, die Verabredung war so eindeutig gewesen, daß Schmidt auf Widerspruch verzichtete.
    Sie trennten sich auf der Straße und gingen in verschiedene Richtungen, Schmidt wollte zuerst zu dem Geschäft in der Rue de l’Université, in dessen Schaufenster er ein Babyoutfit gesehen hatte, das genau das richtige Geschenk für den kleinen Albert sein mochte, und dann zu dem Hemdenmacher an der Place Vendôme, wo er vielleicht eine oder zwei Krawatten kaufen würde. Für den großen Albert, flüsterte er. Aber nach wenigen Metern drehte er sich um. Er wollte noch einmal wenigstens einen flüchtigen Blick auf Alice werfen. Und er sah sie. Sie und Popov gingen eilig in Richtung der Rue du Bac und hatten einander die Arme um die Taillen gelegt, nur daß Popovs Hand in Wirklichkeit tiefer gerutscht war. Er tätschelte Alices Hintern und erkundete durch ihr Sommerkleid hindurch das Gewicht ihrer Pobacken. Lots Weib wurde zur Salzsäule, als sie auf Sodom zurückschaute. Dieses Schicksal blieb Schmidt erspart. Aber Alice drehte den Kopf in seine Richtung, vielleicht, weil sie spürte, daß seine Augen auf ihr ruhten. Sie zog die Brauen hoch, wie um seinen Blickzu erwidern, und lächelte mit einer komischen Grimasse, hilflos. Er

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