Schmidts Einsicht
weggeräumt und die Papierservietten und die Wegwerfbehälter entsorgt hatte, die unweigerlich anfallen, wenn man Essen zum Mitnehmen kauft, fragte er noch einmal, was sie so traurig mache.
Nichts, sagte sie. Renata hat mir erzählt, daß die Großeltern sehr enttäuscht sind. Als Leah – Renatas Mutter – hörte, daß ich keine Kinder haben kann, hat sie so sehr geweint, daß Ron – Jons Großvater – sie vom Telefon wegzerren mußte.
Das tut mir so leid. Es ist noch ganz neu für sie. Sie werden sich darauf einstellen. Wie wir alle. Nimm dir solche Dinge nicht so zu Herzen.
Du weißt, daß Seth – Renatas jüngerer Bruder – schwul ist.
Das wußte ich nicht.
Na ja, das ist so. Er wird nie Kinder haben. Ich habe keine Gebärmutter. Renata und Myron bekommen kein Enkelkind von mir, Jon keinen Sohn, und ich kann mir einen Hund anschaffen. Einen netten Pudel. Einen honigbraunen oder einen schwarzen, was rätst du mir?
Mein Liebes, es tut mir so schrecklich leid.
Leid? Nein. Oder vielleicht doch. Egal. Aber wie recht du hattest. Du kanntest dich aus. Du wußtest, warum du keinen Fonds für den kleinen Myron eingerichtet hast. Du wußtest, daß er ihn nicht brauchen würde! Du hast einen Fluch über uns verhängt!
Mein Liebes, das ist doch verrückt. Hör auf, so etwas zu denken und zu sagen. Wie kannst du nur!
Wie ich kann? Ich sag dir einfach die Wahrheit! Du haßt Jon, schon die Vorstellung, du könntest einen jüdischen Enkelsohn bekommen, war dir verhaßt, und du hast dein wahres Gesicht gezeigt! Das verzeih ich dir nie!
Charlotte, Liebes, bitte, hör auf damit!
Nenn mich nicht Liebes. Ich weiß, wovon ich rede. Und ich bin nicht die einzige, die so denkt. Renata denkt genauso! Sowieso paßt alles zusammen. Dieses puertoricanische Flittchen hat gerade dein Kind zur Welt gebracht. Stimmt’s? Jon hat sich erkundigt. Einen kleinen Jungen. Albert heißt er. Ach wie süß!
Statt zu antworten, murmelte er: Auf Wiedersehen, und beugte sich über sie, um ihr einen Abschiedskuß zu geben. Sie stieß ihn so heftig weg, daß der Schlauch aus dem Venenzugang in ihrem Unterarm gerissen wurde. Schmidt rief die Krankenschwester und stahl sich aus dem Zimmer, während sie den Schaden behob und mit ihrer Patientin schimpfte.
XIV
Beim Verlassen des Zimmers war ihm der Gedanke durch den Kopf gegangen, daß er Charlotte vielleicht noch einmal versichern müsse, er werde nach dem Wochenende wiederkommen und bis zu ihrer Entlassung aus der Klinik bei ihr bleiben, aber schon im nächsten Moment hatte er sich entschieden, nichts zu sagen. Was auch immer er sagen mochte, würde mit großer Sicherheit eine neue Salve von Anschuldigungen provozieren, die derart verletzend wären, daß sie unüberwindliche Hindernisse für einen zukünftigen Umgang mit Charlotte darstellten und ihm vor allem die Rückkehr an ihr Krankenbett unmöglich machten. Während ihn Mike Mansours Wachmann nach Bridgehampton zurückfuhr, fragte sich Schmidt wieder und wieder: War schon so viel Schaden angerichtet, daß er sich nicht mehr überwinden konnte, zu Charlotte zurückzukehren? Die Antwort war jedesmal die gleiche: Es bleibe ihm gar nichts anderes übrig. Der Schlag, den Charlotte erlitten hatte, war so grausam, daß er mit aller Kraft versuchen mußte, ihr zu helfen. Er durfte nichts tun, was ihren Schmerz verschlimmern würde. Diesen üblen Ausbruch mußte er, ganz so wie früher all die zahllosen Wutanfälle, das Kennzeichen ihrer rebellischen Jugendjahre, einfach nicht beachten. Verzeihen. Sicherlich, aber es gab einen großen Unterschied: Damals war Mary noch dagewesen, und sie konnten das Trommelfeuer wüster Anschuldigungen und Forderungen zu zweit durchsortieren, zusammen lachen und Mitgefühl miteinander haben. Sie waren eine Familie gewesen. Jetzt war er ganz allein. Charlotte hatte sich für eine andere Familie entschieden,eine, die ihm, womöglich mit Ausnahme Myrons, feindlich gesinnt war. Niemandem konnte er Charlottes Tirade schildern, niemanden um Rat fragen, bei niemandem Trost und Bestätigung suchen. Alice hatte er schon von der Fehlgeburt und der Hysterektomie berichtet, Gil Blackman würde es von ihm erfahren, sobald sie sich treffen konnten, und Mike Mansour nach seiner Rückkehr aus Paris. Aber Charlottes Wutausbruch, ihr Mißtrauen gegen seine Motive durften niemals zur Sprache kommen. Er schämte sich ihrer; er wollte nicht, daß sie das Bild trübten, das andere von Charlotte hatten.
Es war wichtig, daß Charlotte
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