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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Ende war, rief er Alice an. Ihre Stimme: Kaum hörte er sie, ertappte er sich beschämt bei dem Wunsch, Mike Mansour hätte die Sache nicht in die Hand genommen. Ohne dessen Flugzeug wäre er gezwungen gewesen, die Nacht über in Paris zu bleiben, und er hätte sie mit Alice verbracht. Fehlgeburten kommen immer wieder vor, dachte er, die Rikers haben überreagiert. Wenn sie mich erst einmal dorthin gezerrt haben, werden die schrecklichen drei alles tun, um mich an den Rand zu drängen. Solche Gedanken behielt er für sich. Alice sagte er, daß er in zehn bis vierzehn Tagen wieder nach Paris kommen könne. Ob ihr das lieb wäre? Schsch, Schmidtie, erwiderte sie. Mach jetzt keine Pläne, mich zu besuchen. Schau erst nach Charlotte, und überzeug dich davon, daß sie auf einem guten Weg ist. Bleib bei ihr. Hilf ihr. Laß mich wissen, wie es ihr geht.
    Das Flugzeug kam schneller voran, als der Kapitän zunächst geschätzt hatte, und landete kurz nach zehn in Albany. Wieder war Myron sofort am Apparat.
    Es war eine schwere Blutung, sagte er, und sie hat zu lange gedauert. Die Zeit, bis Jolanda Charlotte fand, dasWarten auf den Krankenwagen, die Fahrt nach Hudson. Sie haben ihr sofort Blut transfundiert und eine Kürettage versucht. Es hat nichts genützt, Schmidtie, hat nichts genützt! Also haben sie eine Hysterektomie gemacht, um ihr das Leben zu retten. Jetzt wird sie es schaffen. Sie bleibt bis morgen früh im Aufwachraum. Schmidtie, hör mir zu. Sie ist außer Gefahr. Treffen wir uns morgen um zehn im Krankenhaus. Vorher sind Besucher nicht zugelassen.
    Die Gesichter von Mutter und Sohn Riker versteinert. Nur Myron streckte Schmidt die Hand entgegen. In ungefähr einer halben Stunde können wir zu ihr, aber immer nur zwei von uns auf einmal. Lassen wir Renata und Jon zuerst gehen, du und ich übernehmen die zweite Schicht.
    Schmidt hatte inzwischen mit seiner neuen Ärztin Dr. Tang gesprochen. Eine Hysterektomie nach einer Fehlgeburt? fragte sie, hörbar verblüfft. So spät in der Schwangerschaft? Jeder Fall ist anders, aber normalerweise kann eine Blutung durch eine Kürettage gestoppt werden. Sie sagen, die Ärzte hätten es versucht? Vielleicht gab es eine Uterusruptur. Es tut mir aufrichtig leid für Sie und Ihre Tochter und für Ihre Familie.
    Während sie im Wartezimmer saßen, wiederholte er Myron den Inhalt des Gesprächs. Ja, sagte Myron, das hätte ich auch gedacht. Ich wollte mit Charlottes Gynäkologen sprechen, aber der ist auf einem Ärztekongreß in New Orleans. Der andere Gynäkologe ist auch nicht da, und wo er ist, sagt man mir nicht. Der Arzt in der Notaufnahme – ein vernünftiger, ruhiger Mann – versuchte es mit der Kürettage, aber es hat nicht geholfen, also holten sie den Chirurgen, der Bereitschaftsdienst hatte. Menschen in solchen Situationen kann man nicht nachträglich kritisieren. Sie hatten trotz der Transfusionen noch Angst, sie zu verlieren.
    Endlich, nach einer Wartezeit, die ihm sehr lang geworden war, kamen Renata und Jon aus dem Zimmer.
    Charlotte möchte zuerst Myron sehen und dann ihren Vater, sagte Renata. Sie ist erschöpft. Die Besuche sollten kurz sein.
    Vor sehr langer Zeit, als Charlotte noch ein Schulkind war, hatte er mit anderen Eltern auf dem Bürgersteig auf den Bus gewartet, der die Mädchen von einer Exkursion der Brearley-Schule zurückbringen sollte. Als die Kinder ausstiegen, erfaßte ihn plötzlich Panik. Er war einen Moment lang nicht sicher, ob er seine Tochter wiedererkennen würde. Diese Panik kam jetzt, als er in der Tür zum Krankenhauszimmer stand und die im Bett liegende Frau ansah, in anderer, verzerrter Form zurück. Ja, dies war seine arme Tochter, kein Zweifel, die Krankenschwester hatte ihm die Tür aufgehalten und gezeigt, daß es das richtige Zimmer war. Ein lebloses, weißes Gesicht, geschlossene Augen, vielleicht schlief sie. Er ging auf Zehenspitzen in den Raum. Sie schlug die Augen auf, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Charlotte versuchte zu lächeln.
    Mein Liebes, sagte er, es geht dir besser. Es wird wieder gut.
    Er nahm ihre Hand und küßte sie.
    Hallo, Dad, sagte sie. Schön, daß du kommen konntest. Ich dachte, du wärst in Paris.
    Ein sehr intelligenter Mensch hat im Haus oder bei der Stiftung angerufen und herausgefunden, daß ein Fax mich erreichen würde, und ich bin schleunigst zurückgefahren. Ich war gerade gelandet und konnte auf der Stelle umkehren.
    Myron hat dir das Fax geschickt. Das hat er mir vor der Operation

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