Schmidts Einsicht
und die Rikers auf die eine oder andere Weise erfuhren, daß er trotz ihres Verhaltens wiederkommen werde. Einen Anruf bei ihr, Jon oder Renata schloß er aus, aber zum Glück hatte er Myrons Handynummer. Er rief ihn vom Auto aus an, in der Absicht, ihm eine Nachricht zu hinterlassen, die so detailliert war, daß ein Gespräch überflüssig wurde. Aber nein, Myron nahm den Anruf nach dem ersten Klingeln an, bestimmt das einzige Mitglied des New York Psychoanalytic Institute , das so unverzüglich ans Telefon ging.
Schau, Myron, sagte er, ich wollte gerade mit Charlotte zu Mittag essen, da rief Renata an. Ich ging aus dem Zimmer, damit die beiden in Ruhe telefonieren konnten. Vor dem Anruf hatten Charlotte und ich es gut miteinander. Als sie den Hörer auflegte, war sie völlig verändert. Ich kann nur vermuten, daß es an dem Gespräch lag. Dann sagte Charlotte außerordentlich häßliche Dinge zu mir. Ich erzähle dir das nur, um den Zusammenhang zu schildern, nicht um mich über Renata zu beschweren. Mein Anruf hat folgenden Grund: Vor ihrem Ausbruch war Charlotte einverstanden, daß ich am Montag wieder nach Hudson komme und bleibe, bis sie entlassen wird. Ich sagte, ich würde sie zu ihrem Haus bringen und Jolanda helfen, siedort wieder einzugewöhnen. Das ist natürlich nicht nötig, wenn einer von euch da ist. Ich plane auch, eine Nachtschwester einzustellen, die sich in den ersten Nächten um sie kümmert. Dich möchte ich darum bitten, Charlotte irgendwie zu versichern, daß ich mich an diese Verabredung halte und die Absicht habe, am Montag bei ihr aufzutauchen und genau das zu tun, was ich gesagt habe.
Auch Myron hatte nicht umsonst jahrelang als Analytiker gearbeitet. Er antwortete nicht gleich, sondern dachte eine Weile nach. Das Schweigen dauerte, und endlich sagte er: Mmh. Ich verstehe. In Charlottes Situation sind solche Gefühle und Ausbrüche von Feindseligkeit wohl zu erwarten. Ich werde deine Nachricht übermitteln. Was mich angeht, so bin ich dankbar dafür.
Das war erledigt. Wenn nicht Myron oder ein anderer Riker versuchten, ihn davon abzuhalten, würde er nach Hudson fahren. Er hatte es sich zur Regel gemacht, immer von Dienstag bis Donnerstag im New Yorker Büro der Stiftung zu sein. Es gab eigentlich kein anderes wirksames Verfahren, die Arbeit zu erledigen, und dieses Arrangement hatte einen großen Vorteil, den er seit seiner Pensionierung nicht mehr genossen hatte: die ungeteilte Aufmerksamkeit einer erstklassigen Sekretärin. Da man im New Yorker Büro annahm, er sei wie geplant in Paris, erwartete man ihn nicht. Trotzdem folgte er der lang geübten Gewohnheit eines Anwalts, Kontakt mit seiner Sekretärin zu halten, rief Shirley an, erklärte ihr Charlottes Zustand und sagte, er werde tagsüber im Krankenhaus sein, wo man Mobiltelefone nicht benutzen könne, er werde aber seine Nachrichten lesen und zurückrufen, wenn sich etwas Dringendes ergebe. Sie sagte mit so offenkundiger Ernsthaftigkeit, es tue ihr sehr leid, daß sich seine Stimmung für einen Augenblick besserte.
Mary und er hatten das Poolhaus im Garten gebaut, um sicherzustellen, daß sie nicht durch Charlottes lautstarke junge Freunde, die dort untergebracht waren, und auch nicht durch die noch geräuschvolleren Partys gestört würden. Das hatte funktioniert, aber der Kraft von Klein Alberts Lungen waren weder die schalldichten Mauern noch die zusätzlich als Lärmschutz angebrachten Wandbehänge gewachsen. Mit heftigem Herzklopfen streichelte Schmidt Sy, der an der Vordertreppe auf ihn gewartet hatte, und ging, begleitet von der Katze, über den Rasen. Gleich würde er das Baby wiedersehen – aber diesmal unglücklicherweise durch das Prisma von Charlottes Katastrophe. Die Tür zum Wohnbereich des Poolhauses stand offen. Er klopfte an den Rahmen und ging hinein. Carrie war in der Küche, stillte das Baby und rief Schmidt zu, er solle sich setzen. Das ist vielleicht einer, sagte sie. Dem schmeckt seine Milch, und dem gefällt, woher sie kommt! Du mußt den Kopf nicht wegdrehen, Schmidtie, spinn doch nicht, du hast meine Titten früher oft genug gesehen! Das war wohl richtig. Sie hatte ihr Top und ihren BH ausgezogen, so daß sie ganz zu sehen waren. Sehnsucht überkam Schmidt, nicht nach ihrem Körper, nicht so, daß er erregt wurde, sondern ein sanfteres Sehnen nach der Zeit, als sie zusammengewesen waren, der glücklichen Zeit, die er jetzt, ganz irrational, so einfach und unschuldig fand.
Was für ein guter Junge,
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