Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Lernwilligkeit. Ich habe ihn, zumindest gab er mir dieses Gefühl, vom Gegenteil überzeugen können: dass der Graben in Wirklichkeit zwischen der Nachkriegsgeneration, für die Demokratie keine Selbstverständlichkeit war, und den Nachgeborenen verläuft. Und dass es in
jeder Generation solche und solche gäbe. Seine Antwort: »Das stimmt schon. Wie sagte Schröder immer: Nur die Harten kommen in den Garten.«
Doch kaum überzeugt, weiß er es doch besser: Sofort machte er sich auf den Weg, Ausnahmen von der Regel zu finden, wie beispielsweise so manchen DDR-Politiker, dem er aufgrund der Erfahrung des Widerstands gegen eine Diktatur ebenfalls einen stabileren inneren Kompass zuschreibt als den Kollegen aus dem alten Westen. Und diese Erkenntnis kann er auch eindrucksvoll belegen: Manche Ostdeutsche seien für den deutschen Politikalltag, formulierte er in einer geistreichen Spiegel -Metapher, wie der Zucker im Schwarztee - sie hätten sich zwar aufgelöst, aber das bittere Getränk dabei ein wenig süßer gemacht.
In einem unserer Gespräche brachte er mich in eine merkwürdige Lage, als er mir aufgrund meiner biographischen Erfahrungen in einer Diktatur und einem Krieg und aufgrund meiner Migration (ich bin 1988 mit meinen Eltern aus dem von Revolution und dem Iran-Irak-Krieg geprägten Teheran nach Frankfurt gekommen) ähnliche Attribute zuschrieb. Es war schmeichelhaft. Und mein Ego teilte natürlich diese Einschätzung. Aber bin ich für ihn im Höhenrausch, wenn ich ihm zustimme? Oder unglaubwürdig, wenn ich es bestreite? Oder ist mir doch egal, welche charakterlichen Zuweisungen er an mir vornimmt, je nachdem, wie ich antworte?
Natürlich hat Leinemann, der Seismograph des Privaten im Politischen, der politischen Kaste zu Recht den pathologischen Hang zur Sucht diagnostiziert. Diese Sucht wäre nichts Schlimmes, wenn sie nicht häufig den Blick auf das richtige Leben verstellen würde. Und eine Droge kommt
oft nicht allein, wie er auch am eigenen Leib erleben musste. Die »innere Leere«, die durch das vollständige Aufgehen in einem Kosmos aus öffentlicher Aufmerksamkeit, tatsächlicher oder eingebildeter Machtfülle und einem ungeheuerlichen Konkurrenzdruck entsteht, hat auch er gespürt. Und auch er hat sie bis zum psychischen und physischen Zusammenbruch mit einer Überdosis an Arbeit und Alkohol auszufüllen versucht.
Dem aus der Anthropologie stammenden Begriff der »teilnehmenden Beobachtung« gibt er damit eine ganz neue Wendung. Seinen ganz und gar unakademischen Texten, in denen er es auf einer einzigen Seite fertig bringt, den großen französischen Philosophen Paul Ricœur und die bestenfalls populärwissenschaftliche Zeitschrift Psychologie heute zu zitieren, verdanken wir die Widerlegung vieler gängiger Klischees über Politiker. Dass mit Joschka Fischer die Rockstars aus der Politik abgetreten sind, dass früher alles besser war und dass es nur schlecht ist, wenn es in der Politik menschelt im Raumschiff Berlin.
Jürgen Leinemanns »Flur Credibility« bewahrt ihn davor, den Politikern alleine die Schuld für die Miseren zuzuschieben, die er diagnostiziert. Er kennt die Mechanismen der Medienwelt, vor allem des Fernsehens, die den Politikern erst den rechten Kick verschaffen. Leinemann weiß, dass auch er ein Dealer der Droge ist, von der zu kosten er selbst nicht lassen kann. Deshalb erzählt er davon, wie sie alle zu seiner Abschiedsparty kamen, alle, mit denen er im Laufe der Jahre diskutiert und sich berauscht hatte und die er deshalb so genau beschreiben konnte. Das wiederum klingt einfach nur stolz, kein bisschen therapeutisch.
DER AUTOR
Omid Nouripour (geb. 1975 in Teheran) ist für Joschka Fischer in den Bundestag nachgerückt, Mitglied im Haushalts-, Verteidigungs- und Rechnungsprüfungsausschuss. Seit 2002 ist er Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft MigrantInnen und Flüchtlinge von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Er hat die doppelte Staatsbürgerschaft.
DR. GERHARD SCHICK
Der Pathologe - Robert von Heusinger
Die Basis für gute Wirtschaftspolitik oder guten Wirtschaftsjournalismus ist dieselbe: eine profunde, unideologische Analyse gepaart mit der Bereitschaft, unabhängig vom Fähnchen der öffentlichen Meinung auch unangenehme Wahrheiten zu äußern. Genau das findet man nicht überall, aber eben bei Robert von Heusinger. Er seziert in der Frankfurter Rundschau zum Beispiel die Deformationen des Finanzmarktes.
1998 war es, als ein gewisser Robert
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