Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
mit einem Messer oder etwas Ähnlichem herrührten. Überall in der Wanne klebte
getrocknetes, verkrustetes Blut. Die offenen Augen der Frau fixierten einen
Punkt irgendwo über dem Bidet.
»Ist das hier passiert?«,
wollte Lenz wissen.
»Nein, vermutlich nicht«,
antwortete Franz. »Wir können gleich rüber in ihr Schlafzimmer gehen und es uns
anschauen, da hat das Übel vermutlich seinen Ausgang genommen.«
Hain
zog ein paar Einweghandschuhe über und hob den rechten Arm der Toten an. »Die
war gefesselt«, bemerkte er.
»Ja, das ist mir
ebenfalls schon aufgefallen. Und einen Knebel hat sie vermutlich auch im Mund
gehabt.« Der Arzt verließ das Badezimmer, winkte die Polizisten hinter sich her
und nahm Kurs auf das mittlere Zimmer der linken Flurseite. Dort stand an der
langen Wand ein kleines Bett, daneben eine Kommode. Die andere Seite des
Zimmers wurde vollständig von einem riesigen, deckenhohen Kleiderschrank
eingenommen, dessen kompletter Inhalt im Zimmer verteilt lag. Überall war Blut.
»Haben Sie schon eine
Idee zum Todeszeitpunkt, Herr Doktor?«, fragte Lenz den Mediziner.
Der nickte. »Sie ist
höchstens 24 Stunden tot, vermutlich etwas weniger. Und um Ihrer nächsten Frage
gleich vorzugreifen, ich vermute, dass der Fall hier und der von letzter Nacht
von ein und demselben Täter verübt wurden.«
»Das sollte man
annehmen«, gab Lenz leise zurück.
»Natürlich sollte man das
annehmen«, verfiel Franz wieder in den ihm eigenen, ziemlich arrogant
daherkommenden Dozierstil. »Erstens gleichen sich die Tatorte doch in
auffallender Weise. Zweitens teilen oder teilten die ermordeten Herrschaften
den Beruf, denn, wie Sie sicher schon wissen, hat die Dame in der Badewanne
ihre Brötchen ebenfalls als Pädagogin erwirtschaftet.«
Er sah von einem
Polizisten zum anderen, als erwarte er eine Würdigung seiner Erkenntnisse. »Und
drittens«, fuhr er fort, nachdem weder Lenz noch Hain seine Ausführungen
kommentieren wollten, »sind beide vor ihrem Tod auf die gleiche, grausame Weise
misshandelt worden.«
Nun wurde Lenz hellhörig.
»Wie meinen Sie das? Mit den Messerstichen?«
Der Arzt schüttelte den
Kopf. »Nein. Ich vermute sogar, dass sie die Messerstiche gar nicht mehr als
Schmerzen wahrgenommen haben.«
»Weil sie bewusstlos
waren?«, fragte Hain dazwischen.
Wieder das Kopfschütteln.
»Nein. Der oder die Täter haben ihnen die motorische und sensible Wahrnehmung
genommen.« Er wies mit dem Kopf Richtung Badezimmer. »Kommen Sie, ich zeige es
Ihnen.«
Im Bad angekommen, bat er
Hain, den Oberkörper der Frau vorsichtig nach vorne zu bewegen. Dann deutete er
auf ein hässliches, dunkelblaues Hämatom etwa vier Zentimeter unterhalb des
Haaransatzes, das begleitet wurde von einer ungewöhnlichen Veränderung der Haut
auf einer Fläche von etwa drei mal drei Zentimetern.
»Scheiße«, murmelte Hain,
der mit schief gelegtem Kopf die Verletzung betrachtete.
»Was ist das?«, wollte
Lenz wissen.
Franz bedeutete Hain,
dass er die Leiche wieder in ihre ursprüngliche Position zurückführen konnte.
»Das ist ein
zerschmettertes Rückgrat, um es für Laien einfach und verständlich
darzustellen.«
Hain warf dem Arzt einen
angewiderten Blick zu. »Wollen Sie damit sagen, dass der Täter ihr …« Er
stockte.
»Genau
das will ich sagen«, bestätigte Franz. »Aber das ist noch nicht alles. Denn der
Tote von letzter Nacht, dieser Bauer, hatte genau die gleiche Verletzung.
Zunächst ist es mir nicht aufgefallen, aber als er gereinigt war und ich ihn
auf dem Tisch hatte, war es deutlich zu erkennen. Dem Mann wurde, und das ist
ganz wichtig, bevor
er getötet worden ist, der
Vertebra Prominens, also der siebte Halswirbel, mit massiver Gewalt zerstört.
Genau wie bei der armen Frau hier.«
»Was genau passiert bei
einem Menschen, wenn man ihm diese Vertreba irgendwas, also den siebten
Halswirbel, mit massiver Gewalt zerstört?«, erkundigte sich Hain.
Dr. Franz machte ein
trauriges Gesicht. »Nun, das ist abhängig von der genauen Trefferlage. Wenn die
Sache so eindeutig ist wie bei unseren beiden Opfern, gehe ich von einer
augenblicklichen Tetraplegie aus. Das bedeutet eine sofortige, vollkommene
Lähmung aller Extremitäten. Außerdem könnte es zu Problemen mit der Atmung
kommen, aber das ist nicht in jedem Fall so.«
Lenz sah sich die Frau
noch einmal an. »Sie wollen uns sagen, Doc, dass der Täter der Frau das
Rückenmark zerstört
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