Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
hier, in der sie seit mehr als 30 Jahren gelebt hat, ihr Eigentum
gewesen ist, und dass sie von 1973 bis 1985 als Sozialpädagogin in Wabern im
Karlshof gearbeitet hat.«
»Scheiße«, murmelte Lenz.
*
Die
nächste Stunde verbrachten die beiden Polizisten damit, die Nachbarn im Haus
nach Ruth Liebusch und möglichen Beobachtungen zur Tatzeit zu befragen, während
zwei Uniformierte das Gleiche in den umliegenden Häusern taten. Die zuvor
angekommenen Männer der Spurensicherung kümmerten sich derweil um den Tatort.
Offenbar hatte die Frau
ein sehr zurückgezogenes Leben geführt, denn keiner der Befragten hatte ein
intensiveres Verhältnis zu ihr gepflegt. Ein älterer Herr, der in der Wohnung
unter ihr lebte, gab zu Protokoll, dass sie hochnäsig und arrogant gewesen sei.
Dagegen erklärte die Bewohnerin der Dachwohnung, dass Frau Liebusch sich stets
um die Belange anderer gekümmert habe und ein gutes und verlässliches Mitglied
der Hausgemeinschaft war. Trotzdem hielt sich ihre Bestürzung über den
gewaltsamen Tod der Sozialpädagogin in sehr engen Grenzen. Jedoch war ihr die
Sorge über das durch die Bluttat möglicherweise schwindende Renommee des Hauses
deutlich anzumerken. Beobachtungen zur vermuteten Tatzeit hatte keiner der
Bewohner gemacht, auch, weil die Mehrzahl der anderen Mieter ebenfalls Singles
waren, die nach der Arbeit nach Hause kamen und sich in ihren wunderbar
sanierten, renovierten und gestylten Wohnungen regelrecht verschanzten.
»Das
hätten wir uns auch sparen können«, kommentierte Hain die wenig weiterhelfenden
Auskünfte der Hausbewohner.
»Stimmt«,
gab Lenz ihm recht. »Das war nix. Meinst du denn, dass die ganze Sache wirklich
auf die Arbeit der beiden in Wabern zurückgeht?«
Hain
zuckte mit den Schultern. »Bietet sich an, oder?«
Die
beiden Kommissare wurden durch den Pfiff von Martin Hansmann, einem der
Mitarbeiter der Spurensicherung, unterbrochen, der mit einer Klarsichthülle in
der Hand auf sie zukam. In der Kunststofftüte steckte ein gefaltetes
DIN-A4-Blatt. »Das ist für euch«, ließ er sie emotionslos wissen und reichte
Hain den Fund. Der warf einen Blick darauf und sah Lenz an.
»Da
hast du deine Antwort«, erklärte er und hob das Beweismittel hoch, damit sein
Chef es sich ansehen konnte.
›K E
I N R A U B M O R D‹, las der
Hauptkommissar.
»Kommt mir bekannt vor.«
»Braucht ihr es im
Moment?«, wollte Hansmann wissen.
»Nein, lass mal, Martin,
das ist bestimmt mit dem gleichen Gerät gedruckt wie das von letzter Nacht. Ihr
vergleicht es, dann sehen wir weiter. Wo hast du es gefunden?«
»Im Schlafzimmer, unter
den Klamotten. Lag ganz harmlos da rum.«
»Aber so, dass wir es
finden mussten.«
»Genau«, bestätigte
Hansmann.
»Dann erstmal danke. Wir
machen uns jetzt los.«
»Gut«, murmelte der Mann
von der Spurensicherung und trabte zurück in die Wohnung. Lenz holte tief Luft
und stieß einen gequälten Laut aus.
»Es hilft nichts, Thilo,
wir müssen Herrn Witsch um Hilfe bitten.«
Der Oberkommissar blickte
auf seine Uhr. »Es ist viertel nach sechs, Paul. Der Kerl liegt wahrscheinlich
längst im Bett, um seinen nicht zu unterschätzenden Rausch auszuschlafen.«
»Das ist mir egal, Thilo.
Hier rennt ein Irrer rum, der Mitarbeiter des Karlshofes aus den 70er- und
80er-Jahren abschlachtet. Und wir können es als Tatsache betrachten, dass in
dieser Zeit noch mehr Menschen dort gearbeitet haben, die diesem Idioten auf
die Füße getreten sind.« Wieder holte er tief Luft. »Also müssen wir
herausfinden, um wen es sich dabei handelt, und ob die alle noch bei guter
Laune und ebensolcher Gesundheit sind. Wenn ja, stellen wir ihnen einen
Streifenwagen vor die Tür, wenn nicht, muss die Spurensicherung viele, viele
Überstunden machen.«
Hain dachte ein paar
Sekunden nach. »Dagegen ist leider nichts zu sagen, mein Vorbild und Mentor.
Also versuche ich, die Telefonnummer dieses netten Menschen herauszubekommen,
während du dich unten umsiehst und die Kollegen interviewst, die in den
umliegenden Häusern unterwegs waren.«
»Genau so machen wir es«,
erwiderte Lenz und steuerte auf die Treppe zu. »Oder halt, warte. Die merkwürdige
Erzieherin von heute Morgen, diese Erika Schäfer. Hat die nicht gesagt, dass
sie mit Bauer zusammen auf einer Gruppe gearbeitet hat?«
»Stimmt, das hat sie.«
»Dann müssen wir dafür
sorgen, dass sie gewarnt wird. Und sie braucht Schutz,
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