Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
hat, bevor er sie umgebracht hat?«
»Richtig. Genau wie bei
diesem Bauer auch.«
Der Hauptkommissar
schluckte. »Wer, verdammt noch mal, kommt denn auf so eine Idee? Streunern denn
wirklich nur noch Irre über diesen Planeten?«
»Das kann ich Ihnen beim
besten Willen nicht sagen, Herr Kommissar, aber der Täter, mit dem Sie es hier
zu tun haben, der ist einer von der ganz kranken Sorte.«
Hain griff sich mit der
linken Hand ins Genick. »Wie finde ich denn den siebten Halswirbel, Doc?«
Dr. Franz trat neben ihn
und führte den Zeigefinger des Polizisten zu einer Erhöhung direkt oberhalb
seines Hemdkragens. »Das hier ist der angesprochene Vertebra Prominens, der
siebte Halswirbel. Was sie dort spüren, ist eigentlich der Dornfortsatz, aber
das wollen wir nicht zu genau nehmen. Wenn man auf diese Erhöhung, die bei den
meisten Menschen relativ gut zu ertasten ist, mit einem stumpfen Gegenstand,
also beispielsweise einem Hammer, draufhaut, schiebt sich in aller Regel der
Wirbel ins Rückenmark. Dort wird die Verbindung nach unten zerstört und es
kommt zur sofortigen sensiblen wie motorischen Lähmung.«
»Und was heißt das jetzt
wieder?«, wollte Lenz wissen.
»Den sofortigen Verlust
jeglicher Muskelkontrolle sowie das Fehlen von Empfindungen aller Art ab der
Läsionshöhe.«
Für einen Augenblick
herrschte Stille im Badezimmer. Lenz fasste sich als Erster wieder. »Warum
bricht ein Mörder seinem Opfer erst das Kreuz, um es danach zu misshandeln und
schließlich umzubringen?«
»Das herauszufinden, Herr
Lenz, obliegt Ihren Ermittlungen. Aber insgeheim bin ich schon froh, dass mein
Beitrag zur Aufklärung dieser unappetitlichen Morde mit den dazugehörigen
Leichenschauen erledigt ist.«
Der Hauptkommissar
nickte. »Da haben Sie doch mal richtig Glück gehabt, Herr Doktor.«
Die
Polizisten überließen den Mediziner seinen weiteren Untersuchungen und sahen
sich in der Wohnung um. Das Schlafzimmer klammerten sie aus, weil sie wussten,
dass die Männer der Spurensicherung und speziell Heini Kostkamp es nicht gern
sahen, wenn der Tatort oder Teile davon untersucht wurden, bevor sie ihre
Arbeit beendet hatten. Insgesamt gab es fünf Zimmer plus einer kleinen
Speisekammer, in der sie auf Konserven und Unmengen von eingekochtem Obst
stießen. Offenbar hatte die Frau des Hauses ein Faible, was die Versorgung mit
Essbarem anging. Hain ging kurz zurück zum Schlafzimmer und warf einen Blick
auf die Kleidungsstücke.
»Alles Frauenkleidung.
Wie es aussieht, hat sie allein gelebt.«
»Ja, das hab ich auch
schon festgestellt. Trotzdem müssen wir herausfinden, ob es vielleicht einen
Herrn Liebusch gibt oder gegeben hat«, gab Lenz zu bedenken. Hain griff nach
seinem Mobiltelefon und wählte.
»Hallo, RW, ich bin’s«,
meldete der Oberkommissar sich. Dann beauftragte er seinen Kollegen mit der
Recherche nach einem Herrn Liebusch.
»Na, du kommst mir ja
recht, so kurz vor Feierabend«, polterte Rolf-Werner Gecks. »Glaubst du, ich
bin auf der Brennsuppe ins Präsidium geschwommen? Oder ich hätte mir in den letzten
90 Minuten die Falten aus dem Sack gehauen?«
»Nein, so hab ich das
doch gar nicht gemeint, RW.«
»Gut«, meinte Gecks, noch
immer mit anständig Dezibel.
»Ruth Liebusch lebte seit
mehr als 30 Jahren in dieser Wohnung, deren Eigentümerin sie auch war. Einen
Herrn Liebusch gab es in der ganzen Zeit nicht, zumindest nicht offiziell.
Oder, so vereinfacht ausgedrückt, dass es auch ein aufstrebender, junger
Oberkommissar versteht: Die Dame war nie verheiratet.«
»Aha«, machte Hain
zerknirscht.
»Außerdem hat sie zwölf
Jahre ihres Berufslebens im Karlshof in Wabern zugebracht, als Sozialpädagogin.
Und zwar von 1973 bis 1985. Weitere Fragen?«
»Nö, vielen Dank«,
erklärte Hain, noch immer zerknirscht.
»Gut, mein junger Freund.
Dann richte bitte unserem gemeinsamen Chef aus, dass ich jetzt Feierabend
mache, weil ein Arzttermin ansteht, den ich schon dreimal verschoben hab.
Schönen Abend allerseits.«
Damit war die Verbindung
unterbrochen.
»Oh je.«
»Was war denn los?«
»Ich hab RW verärgert.
Außerdem soll ich dir ausrichten, dass er jetzt Feierabend macht, weil er noch
einen wichtigen Arzttermin hat.«
»Womit hast du ihn denn
verärgert?«
Hain
winkte ab. »Vergiss es. Er war mal wieder hypersensibel. Aber er hat immerhin
schon herausgefunden, dass es niemals einen Herrn Liebusch gegeben hat, dass
die Wohnung
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