Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
Hains
Wagen, mit dem er am Vorabend nach Hause gefahren war, fiel Lenz am Ende der
kleinen Seitenstraße, in der er wohnte, eine dunkelblaue Skoda-Limousine auf,
in der ein Mann saß und Zeitung las. Er warf einen Blick auf das Kennzeichen
und schlenderte los.
»Morgen, Herr Peters«,
begrüßte er den Journalisten, der mit geöffneter Seitenscheibe im Wagen saß.
»Morgen, Herr Lenz.«
»Haben Sie hier zu tun?«
»Sozusagen, ja.«
»Was
heißt das?«
Peters
knüllte die Zeitung zusammen und warf sie auf den Beifahrersitz, wo unter ihr
eine große Digitalkamera verschwand. »Das heißt, dass wir in einem freien Land
leben und ich meine Zeitung lesen kann, wo und wie und wann ich will. Und ich
lasse mir es von niemandem verbieten.«
Lenz hob die Arme. »Um
Gottes willen, Herr Peters, ich will Ihnen doch nichts verbieten. Das ist, wie
Sie richtig gesagt haben, ein freies Land. Allerdings muss ich Sie der Fairness
halber darauf hinweisen, dass die Bewohner das Haus auch durch die Waschküche
verlassen könnten. Wenn sie wollten. Der Ausgang endet auf der anderen Seite
des Gebäudes.«
»Wie?«, machte der
Zeitungsmann.
»Schönen Tag noch, Herr
Peters. Das Wetter soll heute ja ganz angenehm werden. Bisschen heiß
vielleicht.«
Damit wandte der
Kommissar sich ab und ließ den Journalisten zurück. Natürlich wusste er, dass
der Weg von der Waschküche durch den kleinen Garten hinter dem Haus bis zur
Hauptstraße durch eine Hecke sowie ein sich anschließendes Gebüsch führte und
eher beschwerlich war, doch er war sich sicher, dass Peters nun völlig
verunsichert im Auto saß. Und mehr hatte er nicht erreichen wollen.
*
Hains
Ansage am Telefon war nicht übertrieben gewesen. Er sah tatsächlich nicht aus
wie jemand, der am Abend zuvor einen kurzzeitigen, völligen Stromausfall im
Hirn hatte hinnehmen müssen. Vielmehr stand er mit einer dunkelblauen
Baseballkappe auf dem Kopf vor dem Haus und grinste seinen Chef an.
»Was geht?«, begrüßte
Lenz seinen Kollegen.
»Alles«, erwiderte Hain
fröhlich, sprang auf den Beifahrersitz und blickte in den blauen Himmel. »Lass
uns Räuber und Gendarm spielen. Mir ist, als hätten wir heute gute Karten.«
Lenz legte den ersten
Gang ein und schielte dabei verstohlen nach rechts.
»Du bist sicher, dass
alles in Ordnung ist? Wir sollten nicht besser kurz im Klinikum vorbeifahren,
um ein Röntgenbild machen zu lassen? Mal ganz ehrlich?«
»Vergiss es. Ich hab
heute Nacht keine zwei Stunden geschlafen, nachdem ich vor nicht einmal zehn
Stunden eine über die Rübe gekriegt habe. Aber meine Freundin ist, wie du
weißt, Krankengymnastin und hat mich, wie ich dir schon am Telefon erklärt hab,
bestens versorgt.«
»Hast du sie auch … bestens
versorgt
?«, fragte Lenz vorsichtig.
Der Oberkommissar nickte
und fasste sich an die Beule auf seinem Kopf. »Nach menschlichem Ermessen
müssten wir in einem guten Dreivierteljahr glückliche Eltern eines Eggheads
sein.«
»Na bittschön«, prustete
Lenz, und fuhr los.
Die
gute Laune, mit der die beiden Kripobeamten durch die Stadt gefahren waren,
verging ihnen im Präsidium schnell. Rolf-Werner Gecks empfing seine Kollegen
mit aschfahlem Gesicht und Tränen in den Augen.
»Was ist los, RW?«,
fragte Hain mit echter Besorgnis.
»Ich bin nur hier, um die
Dinge so weit zu regeln, dass ihr eine Weile ohne mich auskommt«, erwiderte der
altgediente Hauptkommissar. Lenz schluckte, trat neben ihn und legte ihm die
Hand auf die Schulter.
»Warum denn das, RW?«
»Mein Besuch beim Arzt
gestern Abend war nicht so erheiternd, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Wie
es aussieht, habe ich Prostatakrebs.«
»Ach du große Scheiße«,
murmelte Lenz.
Gecks nickte. »Ja, das
finde ich auch. Ich war vor einer Woche zur Vorsorge, dabei hat der Arzt einen
PSA-Test gemacht. Der ist bei mir wichtig, weil ich schon immer mit erhöhten
Werten zu tun hatte. Und jetzt war der Wert regelrecht explodiert. Gestern
Abend hat er dann auch was ertastet. Klein, wie er sagt, aber eben tastbar.«
»Vielleicht«, gab Hain zu
bedenken, »ist das Ding ja gutartig.«
Gecks schüttelte den
Kopf. »Nicht bei diesen Werten, das kannst du vergessen.«
»Und wie geht es jetzt
weiter?«, wollte Lenz wissen.
»Heute Abend bin ich in
der Klinik, morgen früh wird eine Biopsie gemacht. Danach sehen wir weiter,
aber ich richte mich darauf ein, dass es eine richtige Operation geben
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