Schmuggler reisen unerkannt
Dieses Mistwetter wäre eine Zumutung für mein Goldstück.
Wahrscheinlich, dachte er
weiter, spinne ich. Gaby hat was erlauscht, und ich vermute nun, das Trio will
Platzke berauben. Kann ja sein, muß aber nicht. So oder so — um zehn putze ich
hier die Platte. Saßmann junior sitzt wahrscheinlich vor der Glotze, zieht sich
Videos rein und knackt Nüsse, falls er nicht die Salzmandeln vorzieht. Karl ist
jetzt zu Hause, Klößchen bei seinen Eltern und Gaby in ihrem Mädchenzimmer. Nur
ich stehe mir hier kalte Füße zusammen.
Er begann zu hüpfen — hoch,
höher.
Dabei verbesserte sich auch der
Blickwinkel übers Tor zum Wohnhaus.
Dort brannte Licht hinter zwei Fenster.
Das war vorhin so gewesen. Nichts hatte sich geändert.
Tims Uhr hatte Leuchtziffern.
21 Uhr.
Also noch eine Stunde, dann...
Knarrend öffnete sich das Tor.
Tim hielt den Atem an und
verschmolz mit der Mauer, die genauso dunkel war wie sein Outfit.
Eine Gestalt trat auf die
Straße. Schwarzes Leder, Stiefel, der Bürstenschnitt leuchtete... Sascha
Saßmann!
Er sockte los.
Tim ließ ihm Vorsprung, nahm
dann sein Rad und folgte.
War es soweit? Bestätigte sich
seine Ahnung? Oder begab sich der Schrilltyp nur zur nächsten Kneipe, um ein
Bier reinzupfeifen.
Dunkle Straße. Sascha ging in
Richtung Westbahnhof. Bis dorthin war es nicht weit.
Jetzt erreichte er den
Vorplatz, wo Taxis stehen und Lichtpeitschen kalkiges Licht ausgießen.
Tim verharrte in der Dunkelheit
und sah, wie Sascha das Portal des Bahnhofsgebäudes ansteuerte. Bevor er es
erreichte, kamen zwei Typen heraus.
Tim erkannte sie sofort: Horst
Dräger und Udo Wehnig.
Na, also! dachte er. Die
Beschattung lohnt sich. Die drei haben was vor. Das rieche ich förmlich.
Die nächste Überlegung
verschaffte ihm Gewißheit. Von hier bis zu Hartwig Platzkes Adresse — das war
nur ein Katzensprung. Durch die dunkle Lagerhaus-Straße und zwei weitere. Eine
Strecke, die man auch bei diesem klamm-feuchten Nebelwetter zu Fuß gehen
konnte, obwohl’s natürlich bequemer war mit dem Taxi.
Also kam Platzke mit dem Zug,
und Sascha wußte das. Möglicherweise nur er. Sein Vater natürlich auch, aber
der saß hinter Gittern.
Wenn ich die wäre, dachte Tim,
würde ich ihm auflauern — dem Platzke — in der Lagerhaus-Straße. Am besten
dort, wo das Baugeschäft ist. Setzt allerdings voraus, daß er fußläufig
heimwärts strebt. Nimmt er ein Taxi, haben sie mit Zitronen gehandelt.
Klößchen verständigen?
überlegte der TKKG-Häuptling. Der war bei seinen Eltern, und die Sauerlichs
wohnten am anderen Ende der Stadt — in vornehmster Gegend.
Gaby verständigen? Niemals! Was
jetzt kam, erforderte harte Bandagen. Also nichts für Mädchen, vor allem nicht
für sein Herzblatt.
Und Karl?
Das Trio hatte offenbar Zeit.
Sie hatten kurz geredet, stießen sich gegenseitig in die Rippen, kumpelhaft;
Dräger lachte lauthals. Dann wandten sie sich Richtung Lagerhaus-Straße,
gemächlich, und verschwanden in dem dunklen Schlauch, den man aus
unerfindlichen Gründen ausgespart hatte, als die Laternen aufgestellt wurden.
Tim verharrte, wartete eine
Minute, sauste dann auf seinem Rennrad hinüber zum Bahnhofsgelände — und
hinein, wobei er das Zweirad schob.
In der Halle war es kalt und
ungemütlich, der Boden schmutzig.
Hinter dem Fahrkartenschalter
langweilte sich eine junge Frau, eine Bahnbeamtin. Sie trug Uniformjacke, die
nicht gut paßte, und blond gefärbte Haare. Am Mittelscheitel wuchs dunkles Haar
nach.
Zwei Reisende standen herum.
Einer rauchte, der andere gähnte.
Tim trat zum Schalter.
„Guten Abend. Ich habe eine
Frage. Der Zug aus Mailand — wann kommt der an?“
Sie legte ihr Butterbrot weg,
von dem sie gerade abgebissen hatte.
„Du meinst den IC?“
„Egal. Hauptsache, er kommt aus
Mailand.“
„Der fährt nur bis zum
Hauptbahnhof. Aber dort ist sofort Anschluß. Der IC Ferienland. Der hält hier
um 21.40 Uhr.“
„Besten Dank und guten
Appetit!“
Sie antwortete nicht, war wohl
mürrisch drauf wegen des Spätdienstes und sah dem TKKG-Häuptling kuhäugig nach.
Blick auf die Uhr.
Na, toll! Es reichte noch für
Karl. Wenn er Tempo machte, konnte er rechtzeitig hier sein.
Tim lehnte sein Stahlroß an die
Telefonzelle, suchte im Portemonnaie und hatte tatsächlich eine Telefonkarte —
auf der noch für 4,20 DM Guthaben war.
Er rief Karl an.
Frau Vierstein meldete sich.
„Ah, du bist es, Tim. Wird’s
nicht Zeit, daß du heim kommst?“
Er lachte. „Sie
Weitere Kostenlose Bücher