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Schmusemord

Schmusemord

Titel: Schmusemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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sich viele Mitglieder seiner Meinung an.«
    Matzbach runzelte die Stirn. »Liebe Frau Präsidentin, Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß dieser Verein vom freien Spiel des Sprachgeistes zu ernsthaften Dingen übergehen will? Das wäre ja entsetzlich.«
    »Doch, ich fürchte, darauf läuft es hinaus.«
    »Was hat dieser, eh, Holtmanns denn vor?«
    »Er will die Sprachwelt verbessern.«
    »Wie?«
    Dr. Gabrieli hob die Schultern. »Wie jeder gute Inquisitor. Durch Vorschriften. Da drüben« – mit dem Kinn wies sie auf einen fetten Lederband, der auf einem Stehpult lag – »ist die erste Liste. Idiotismen, nennen wir es mal so. Die Mitglieder sind gehalten, in Umlauf befindliche Idiotismen zu sammeln, dort einzutragen und sich feierlich zu verpflichten, nicht nur diese inkriminierten Wörter zu meiden, sondern durch öffentliches Wirken dafür zu sorgen, daß möglichst viele andere bemerken, daß es sich um zu meidendes Wortmaterial handelt.«
    »Unterwörter, was?« Matzbach grinste schräg. »Irgendwie haben wir doch alle was dafür übrig; andererseits müssen wir uns ja nicht zu Tugendwächtern aufspielen. Was steht denn so da drin, bisher, in diesem Ausmerz-Buch?«
    »Ach, die üblichen Gräßlichkeiten. ›Ultimativ‹, zum Beispiel – ist ja in den letzten Jahren ohne Ultimatum für ›besonders gut‹ oder so in Gebrauch geraten. Statt ›ultimat‹, was auch häßlich, aber wenigstens nicht falsch war. Das ultimative Leseerlebnis, wissen Sie; und die ultimativ geile oder, eh, geil ultimative Nullnummer.«
    Hermine schüttelte sich.
    »Andere zur Ausmerzung vorgesehene Wörter sind der schiere Unsinn; etwa das doppelmoppelige ›lohnenswert‹, nämlich wert, sich zu lohnen. Oder ›nichtsdestotrotz‹, vor Jahren als Parodie des ebenso häßlichen wie unnötigen ›nichtstdestoweniger‹ ausgeheckt, pardon, ausgehocken und von den falschen Leuten ernstgenommen.«
    »Man sollte«, sagte Baltasar, »aber auch ein bißchen positiv denken. Wie wäre es mit einem Einmerz-Buch; Merz-Buch? Eines, in das schöne Wörter eingetragen werden, die vergessen wurden oder die hier neu erfunden werden?« Er klopfte auf seinen Bauch. »Dinsen, zum Beispiel. Dinsen, dans, gedunsen. O dönse ich. O welch ein Gedöns.«
    »Könnte man anregen. Bisher ist noch niemand auf so etwas gekommen; danke sehr, lieber Herr Matzbach. Aber, um bei diesem Band zu bleiben – natürlich stehen darin auch die grausamsten Produkte der Obrigkeit. Justizvollzugsanstalt, zum Beispiel.«
    »Ist das falsch? Ich bin keine Juristin«, sagte Hermine.
    »Wo wird Justiz vollzogen? Wenn überhaupt, dann im Gerichtssaal. Aber …«
    Matzbach nickte. »Aber. Genau. Was wird aus dieser Gesellschaft? Wenn sie nicht mehr Verben stärkt, sondern sich zur Besserungsanstalt machen will?«
    Dr. Gabrieli klang tief betrübt. »Es wäre das Ende, nicht wahr?« Sie legte eine Hand auf Matzbachs Arm. »Wollen Sie nicht doch Mitglied werden? Vielleicht bekämen wir eine Mehrheit zusammen, für die alte Spielerei.«
    Baltasar seufzte leise. »Irgendwie bedaure ich es ja, aber ich bin ein ganz schlechtes Mitglied. Lassen Sie mich ein paar Tage drüber nachdenken, ja? Und, eh, sagen Sie, uns steht doch demnächst eine Rechtschreibreform ins Haus. Was meint denn die Fraktion der Holtmänner dazu?«
    »Sie ist dagegen.«
    »Vernünftig.«
    »Moment. Sie ist nicht dagegen, weil man etwa der Meinung wäre, daß die Sprache allen gehört und niemand über sie zu bestimmen hat, schon gar nicht irgendwelche Politiker; sondern diese Fraktion ist dagegen, weil sie selbst die Regeln aushecken und über das Land verhängen will.«
    Etwa eine Stunde lang wanderten Matzbach und Hermine durch den großen Raum, plauderten mit Leuten, die sich flüchtig an Baltasar zu erinnern vorgaben, warfen Blicke ins Ausmerz-Buch, mieden das Gespräch mit Herr Holtmanns und warteten darauf, daß Elias Jüssen vielleicht doch noch erschien.
    Und er kam, als sie eben gehen wollten. Es war, als habe der Raum plötzlich einen neuen, überschweren Mittelpunkt erhalten. Jüssen trug einen leichten, hellen Sommeranzug, wirkte weit jünger als 72, lächelte, begrüßte Dr. Gabrieli mit einem Handkuß, tat nichts Ungewöhnliches, und dennoch richteten sich sofort alle Blicke auf ihn. Plaudernde Grüppchen begannen – wie abgesprochen – seitlich schlurfende Annäherungsmanöver. Leise Gespräche wurden lauter, als ob die Sprecher nur ja von Jüssen gehört und bemerkt werden wollten. Andere

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