Schmusemord
mochte zu dem bewaldeten Hang oberhalb des Sees führen, wo Schmollgrubers Haus zu finden sein sollte. Matzbach knurrte leise und kehrte zurück zur Hauptstraße nach Osten. Ein Schild kündigte eine Tankstelle samt
Routiers-Restaurant
an. Es sei zwar schon fast zwei Uhr, ein wenig spät, aber vielleicht finde man dort neben Auskünften auch noch etwas zu essen.
»Ach, das war dein Magen?« sagte Hermine. »Ich dachte, es wären Lormensplitter im Getriebe.«
Nach dem durchaus befriedigenden Mahl bat Baltasar den Kellner um Auskünfte; dieser erklärte sich für unzuständig und holte den
patron
herbei.
»Da gibt es einiges an Häusern«, sagte der Wirt; »wissen Sie, wie es heißt?«
»La Bohème.«
»Ah. Ein altes Jagdhaus, aus der Zeit, als hier noch gejagt wurde.«
»Wissen Sie, wem es früher gehört hat?«
»Einer älteren Sippe, du Plessis. Also, da nehmen Sie den mittleren der drei Wege, durch den Wald und an allen Häusern vorbei. Nach einem kleinen Transformatorenhäuschen kommt noch mal Wald, dann eine Lichtung und rechts ein großer Holzstoß oberhalb einer Schneise, mit Blick auf den See und das andere Ufer. Links, hinter oder zwischen Büschen, ein bißchen weg von der Straße, sehen Sie dann La Bohème.«
»Ich bin entzückt, Monsieur«, sagte Matzbach. »Darf ich mich für die kundige Beratung revanchieren? Ein Kaffee vielleicht, ein Marc oder derlei?«
Der Wirt sah sich um; der Speiseraum war inzwischen fast leer. »Ah, warum nicht? Beides, danke.« Er winkte dem Kellner und ließ sich nieder.
Sie plauderten eine Weile über Wetter, Gegend und andere Unthemen; dann beugte sich der
patron
vor und sagte:
»Es mag Ihnen neugierig erscheinen, aber findet da etwas statt? Heute haben sich schon zweimal Leute nach La Bohème erkundigt.«
»Wir sind eingeladen.« Matzbach hob die Schultern. »Ich weiß nicht, wer außer uns noch da sein wird. Wer waren denn die Ratsuchenden? Vielleicht kenne ich ja jemanden.«
»Zuerst zwei Herren«, sagte der Wirt. »Sie haben hier gefrühstückt, offenbar nach einer Nachtfahrt; dann, ein wenig später, ein einzelner älterer Herr. Die zwei kannten sich gar nicht aus; der Ältere scheint schon einmal dort gewesen zu sein, wollte sich nur versichern, daß er sich richtig erinnert.«
»
Des boches
?«
»Ts ts ts. So was sagt man doch heute nicht mehr, Monsieur.
Des Allemands
. Schrecklicher Akzent, die ersten. Jäger, nehme ich an.« Er blinzelte. »Und Sie, Madame, Monsieur? Sie kommen aus der Touraine, nicht wahr?«
Hermine blinzelte schnell; Baltasar strahlte. »Danke für das nette Kompliment, aber auch wir gehören jenem Stamm an, der Heine und Hitler hervorgebracht hat.«
Der
patron
breitete die Arme aus; er lächelte. »Ah, man kann sich seine Ahnen nicht aussuchen, nicht wahr?«
»Sie haben nicht zufällig die Wagen gesehen?«
»Doch, Monsieur. Ich bin beide Male mit hinausgegangen, um besser gestikulieren zu können, was die Straße angeht. Die zwei Herren hatten einen Mercedes; das Kennzeichen begann mit K. Und der ältere Herr fuhr einen Peugeot aus dem Département Côte d’Or – einundzwanzig. Vermutlich ein Leihwagen aus Dijon.«
Als sie wieder im Wagen saßen, murmelte Hermine: »Touraine, was?« Dann sagte sie: »Und? Was machst du daraus?«
»Es mißfällt mir.« Baltasar steckte den Schlüssel ins Zündschloß, startete aber noch nicht. »Ein Bonner BMW im Morvan, das mag angehen, aber ein Kölner Mercedes? Ungebührlich, ausgesprochen unartig.«
»Meinst du, das ist Jüssen?«
»Kaum. Der würde seine Leute nicht zu Schmollgrubers Haus schicken – oder doch? Hmf. Ich tippe eher auf Lanzeraths Leute. Vermutlich die, die wir schon kennen. Oder auch nicht; er hat bestimmt genug Hooligans. Die Sorte mit Waffen, Benz und länglichen Gesichtern.«
»Aber was wollen die hier?«
»Das ist es ja. Czerny ist schon eine Weile tot, Schmollgruber auch. Was immer Lanzerath oder seinen Leibwächtern quer im Hals steckt, muß jüngeren Datums sein. Sonst würden sie nicht ausgerechnet jetzt ausgerechnet La Bohème heimsuchen.«
Hermine nickte langsam. »Meinst du, Zaches oder Yü ist inzwischen doch was passiert?«
»Vielleicht haben sie nur in ein Fettnäpfchen voller Wespen gepustet.« Er startete den Motor und fuhr zur Straße.
»O Mann, deine Metaphern oder was immer das sein soll. Redet man so in der Touraine?«
»Seit Balzac nicht mehr.« Er schnaubte, bog nach rechts und beschleunigte.
»Was willst du denn da? Wir müssen doch
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