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Schmutzengel

Titel: Schmutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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die Aufzeichnung
     für einen zweieinhalbminütigen Fernsehbeitrag vier Stunden in Anspruch nehmen könnte. Meine Kondition ließ zu wünschen übrig,
     ich brauchte dringend meine Erkältungsmedizin und einen heißen Tee. Stattdessen erwartete mich eine weitere Runde Aufnahmen
     in einem Haus, das ich nicht kannte. Ich unterdrückte ein Seufzen und klaubte das letzte Halsbonbon aus meiner Handtasche.
    »Schuhe aus«, murmelte der Rolf mit unglücklichem Gesichtsausdruck, als er Lisbeths ansichtig wurde. »Ich weiß.«
    Wir stellten unsere Schuhe auf einem dafür bestimmten Schuhregal ab und betraten das Haus, das ein Museum füraltgermanische Kunst hätte sein können. Natürlich habe ich keinerlei Ahnung von altgermanischer Kunst, aber die Tonschüsseln,
     grob behauenen Silberplaketten, Knochennadeln und anderer Kleinkram, der in Vitrinen, auf Borden und in Wandnischen stand
     und lag, erinnerte mich an die alten Germanen. Vielleicht handelte es sich bei den prähistorischen Künstlern in Wahrheit um
     Neandertaler, Angelsachsen oder sogar Römer, mir war es egal, Hauptsache, dies war eine »geile Location«, wie der Rolf sagte.
    Lisbeth zeigte uns Wohnzimmer, Kaminzimmer, Herrenzimmer, Esszimmer, Küche, Frühstückszimmer, Hauswirtschaftsraum, Schlafzimmer
     und Ankleidezimmer. Außerdem den Fitnessraum, die Sauna, den Swimmingpool, die Bibliothek, das Fernseh- und das Musikzimmer
     und natürlich den Wintergarten. Dann kamen noch drei Badezimmer, davon eins mit Whirlpool, ein Arbeitszimmer und zwei Gästezimmer,
     jeweils wieder mit eigenem Bad. Hinter jeder Tür befürchtete ich eine leblose Überraschung. Ich konnte mich keine Sekunde
     entspannen.
    Die Blicke, die der Rolf und die Jule mir zuwarfen, wurden immer bewundernder. Die Menschen, die in solch einem überirdischen
     Palast auf Hunderten von Quadratmetern Wohnfläche lebten, waren meine Kunden! Wenn die wüssten.
    Ich unterdrückte das nervöse Kichern nur unzureichend, aber außer Lisbeth bemerkte niemand meinen inneren Aufruhr. Und sie
     schob es hoffentlich auf die Aufregung.
    »Wie sind die Leute, die in so einer Hütte leben, denn so?«, flüsterte die Jule mir zu.
    »Vollkommen ausgeflippt«, flüsterte ich zurück. »Aber sonst ganz nett.«
    Unter anderen Umständen hätte mir die Situation gefallen können. Ich überlegte, ob ich Lisbeth bitten sollte, mir dieBewohnerin dieses Palastes einmal vorzustellen, nahm aber davon Abstand. Ich wollte Lisbeth nicht in meinem Privatleben haben,
     also hielt ich mich auch aus ihrem heraus.
    Die Auswahl an möglichen Locations innerhalb der Location war riesig und wurde damit zum Problem. Immer häufiger sah ich auf
     die Uhr. Heidi und Rolf konnten sich nicht darauf einigen, welche Perspektive sie haben wollten, und mir lief langsam die
     Zeit weg. Ich wollte mein Auto endlich von seinem Zwangsparkplatz abholen.
    Endlich hatten die Heidi und der Rolf sich geeinigt. »Wir machen das Interview hier«, war mein Startsignal.
    Ich wurde schräg seitlich auf der Lehne einer Bank im Wintergarten platziert und hatte zusätzlich zu dem Problem mit dem Mikro
     und dem Übertragungskasten nun auch noch mit dem Gleichgewicht zu kämpfen. Außerdem lief mir die Nase, die Augen tränten und
     meine Stimme wurde immer leiser.
    »Wie bist du auf die Idee gekommen?«
    Ich verschwieg die Details meiner Kündigung und die katastrophalen Ergebnisse der ersten Vorstellungsgespräche, erzählte
     aber von dem Telefongespräch des gestressten Managers mit seiner ausländischen Putzfrau, das mir als Inspiration gedient hatte.
    »Wie hast du Werbung für dein Unternehmen gemacht?«
    Ich erwähnte die Flyer, die Werbeanzeigen und meinen Internetauftritt, verschwieg aber die Sache mit dem Speed-Dating, bevor
     Trolls Idee Schule machte.
    Die Heidi warf einen hektischen Blick auf die Uhr und beendete die ganze Aktion abrupt: »Ich muss zum Schneiden, vielen Dank
     allerseits.«
    Sie trieb die Jule und den Rolf zur Eile an und verschwand mitsamt Team und Tourbus. Lisbeth und ich blieben erschöpft zurück.
    »Wem gehört dieser Palast denn nun eigentlich?«, fragte ich nun doch.
    »Dem letzten Monat verstorbenen Exmann einer Bekannten«, erklärte Lisbeth. »Das Haus wird zum Schlachtfeld eines Erbstreits
     zwischen drei Exfrauen, sieben ehelichen und vier unehelichen Kindern werden, von den ehemaligen Geschäftspartnern, die den
     Toten auf Schadensersatz verklagt haben und eine postume Enteignung anstreben, gar nicht zu sprechen.

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