Schmutzengel
besagte Hannelore sowie im Theater und ihren Literaturzirkeln kennenlernt.
Es dauerte exakt sechseinhalb Minuten, bis mein Handy klingelte.
»Zweigeschossige Altbauwohnung in Oberkassel mit Blick auf den Rhein oder Grafenberger Villa mit Park?«, fragte sie.
»Beide«, antwortete ich und trug mein Handy ins Büro, um die Zeitplanung mit der Heidi abzusprechen. »Um drei in Oberkassel,
um fünf in Grafenberg.«
Ich wollte gerade nachfragen, ob sie wirklich zwei Stunden für den Dreh in Oberkassel plante, als die Heidi mir mit einem
lässigen Einwurf zuvorkam.
»Es wäre schön, wenn wir von den Kunden auch ein Statement bekämen, weshalb sie gerade die Schmutzengel engagiert haben.«
Mir stockte kurz der Atem. »Unsere Kunden arbeiten um diese Tageszeit, deshalb kümmern wir uns ja um ihre Wohnungen.«
»Schade. Wär auch für dich ein zusätzlicher Werbegaggewesen, wenn ein Kunde etwas Nettes über dich sagt«, entgegnete die Heidi.
Ich zuckte nur mit den Schultern – ich musste mich wohl damit abfinden, dass heute niemand etwas Nettes über mich sagen würde.
Da ich immer noch nicht im Besitz meines Autos war, durfte ich gnädigerweise im »Tourbus« mitfahren, dem Kleinbus des Kameramanns,
der eigentlich schon mit Kameraequipment, Scheinwerfern und großen Koffern überfüllt war, weshalb die Jule ihre Tonaufzeichnungsgeräte
auf den Schoß nehmen musste. Die Heidi saß vorn, ich neben der Jule auf der Rückbank, und der Rolf fuhr, als sei der Wagen
das Fluchtfahrzeug eines Bankraubs und die Polizei uns mit Geheul und Blaulicht auf den Fersen. Irgendwie kam ich mir auf
einmal so wichtig vor.
Lisbeth hat einen Hang zum Dramatischen, von dem ich bis dahin nichts geahnt hatte. Sie inszenierte ihren Auftritt bühnenreif.
Auf mein Klingeln, das ich mit der nötigen Geheimhaltung absolvierte, damit das Filmteam nicht später den Namen vom Klingelschild
abfilmte, drückte sie den Türöffner und erwartete uns im Treppenhaus vor der Wohnungstür. Sie trug weiße Kleidung, die so
blendend weiß strahlte, dass der Rolf später beim Weißabgleich seine liebe Not hatte.
»Die Schuhe bleiben vor der Tür!«, verkündete sie in militärischem Befehlston.
»Na, hören Sie mal«, begann der Rolf, wurde aber von Lisbeth sofort unterbrochen.
»Sie können mir gern zeigen, wo man die Kamera anstellt, dann mache ich das.«
Dem Rolf stieg die Zornesröte in die Wangen. »Damit ist es nicht getan«, presste er hervor. »Die Perspektive, das Licht, die
Schwenks, das ist KUNST!«
»Putzen ist auch Kunst und Sie laufen mir nicht mit Ihren dreckigen Schuhen durch die Wohnung«, entgegnete Lisbeth ungerührt.
Der Rolf gab klein bei, zog die grobstolligen Trekkingschuhe aus, packte seine gesamte Ausrüstung und schlich auf Socken hinter
Lisbeth her.
»Wem gehört diese Wohnung?«, fragte die Heidi.
»Keine Namen«, entgegnete Lisbeth.
Lisbeths heimliche Leidenschaft gilt amerikanischen Actionfilmen. Das tut ihrer Liebe zu klassischen Dramen, hoher Literatur
und romantischer Musik keinen Abbruch. Im Moment allerding benahm sie sich wie Bruce Willis auf einer Mission: Finstere Miene,
wilde Entschlossenheit im Blick – allerdings zum Glück nicht im feingerippten Unterhemd mit Blutspritzern drauf.
Ungeachtet der Tatsache, dass ich Lisbeths Auftritt etwas übertrieben fand, erkannte ich doch mit Erleichterung, dass sie
die Situation im Griff hatte.
Sie dirigierte die Kamera im Wohnzimmer so, dass das echte Gemälde an der Rückwand nicht zu sehen war, weil das »in der Kunstszene
bekannt ist und zur Identifizierung der Eigentümer führen könnte«. Die Heidi und der Rolf waren angemessen beeindruckt und
quengelten um die Erlaubnis, es doch aufnehmen zu dürfen, bissen bei Lisbeth aber auf Granit. Ihr Hinweis, dass die Eigentümerin
den Sender im Falle eines Falles bis an den Rand des Universums verklagen würde, beendete die Diskussion.
Im Schlafzimmer stoppte Lisbeth den Dreh kurz, um an der Stelle, an der die Kamera einen kleinen Ausschnitt des begehbaren
Kleiderschrankes mit aufnahm, schnell etwas umzuräumen. Sie erlaubte den Blick aus dem Fenster auf den Rhein nur in südlicher,
nicht aber in nördlicher Richtung, weil es auch dort irgendeine Möglichkeit des Wiedererkennensgegeben hätte, die ich nicht richtig mitbekam. Im Bad, dessen Einrichtung aus einer frei stehenden Steinbadewanne, zwei verschiedenen
Duschen, einem kleinen Dampfbad und den sonstigen üblichen
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