Schmutzengel
Nachricht gab es immerhin: Die sehr schicke, sehr enge schwarze Hose, die ich mir in einer optimistischen Anwandlung
vor zwei Wochen gekauft hatte, passte mir inzwischen wie angegossen. Die häufigen Fußmärsche, der vollständige Verzicht auf
Süßigkeiten und die akute Appetitlosigkeit hatten zu diesem erfreulichen Ergebnis geführt.
Die Fernsehmeute fiel gegen Viertel nach zwei in mein Büro ein und versaute innerhalb weniger Sekunden dengesamten Fußboden mit ihren durchweichten Schuhen, an denen Schneematsch und Split klebte.
»Die Heidi« stellte mir »den Rolf« vor, das ist der mit der Kamera auf der Schulter, und »die Jule«, die Tontechnikerin. Die
Jule fummelte mir ein kleines Mikrofon mit einem schwarzen Windmützchen an mein Revers, dessen Kabel unter der Bluse über
die Schulter und den Rücken verlegt wurde, wodurch meine Haltung sofort jegliche natürliche Elastizität verlor. Das wurde
nicht besser, als sie mir auch noch den Übertragungskasten für das drahtlose Mikro unter den Hosenbund schob. Ich stand wie
ein Telefonmast inmitten meines Büros und traute mich kaum, mich zu bewegen.
»Wir machen ein Take hier, du erzählst, wie du auf die Idee gekommen bist, das machen wir ein bisschen wie ein Interview,
das ist leichter für dich. Und dann gehen wir mal zusammen in eine Wohnung, die du putzt, und filmen dort bei der Arbeit.«
Mein »Nein« brachte jede Bewegung im Raum zum sofortigen Stillstand. Die Heidi, der Rolf und die Jule starrten mich entsetzt
an.
»Was nein?«, fragte die Heidi.
»Wir können nicht in einer Wohnung drehen, das ist mit den Kunden nicht abgesprochen.«
Die Heidi blickte verwirrt. »Aber du gehst in die Wohnung und putzt, da gehen wir eben einfach mit. Wir sagen ja nicht, wessen
Wohnung das ist.«
»Nein«, wiederholte ich. »Außerdem putze ich ja gar nicht.«
»Ja, also dann hat das aber doch alles keinen Sinn«, ließ sich der Rolf vernehmen. »Ich brauche Bilder, Kinder, wir sind beim
Fernsehen. Die Leute wollen nicht nur ein kleines Bürozimmerchen sehen«, er warf einen zwischenLangeweile und Verachtung schwankenden Blick in meinem Büro umher. »Unsere Zuschauer wollen die Wohnungen, Villen und Lofts
von Leuten sehen, die reich genug sind, sich einen exquisiten Butler-Dingsbums-Hausputzdienst zu leisten.«
Er fuhr sich theatralisch mit der freien Hand durch die Haare und seufzte laut.
Blöderweise musste ich ihm recht geben. Die Bilder aus meinem kleinen Büro mit dem Charme der Wartezimmer-Gardinen waren ja
auch für mich selbst keine tolle Werbung.
Das Problem war nur, dass die Wohnungen, die wir betreuten, nicht gerade das waren, was der Rolf sich unter den Villen und
Lofts vorstellte, in die er selbst gern hineinschauen würde. Lauensteins Haus war zwar groß und irgendwie ausgefallen, aber
allein der Gedanke daran trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn. Die Wohnung des Professors, der uns heute Vormittag den
Auftrag erteilt hatte, wäre sicher interessant, aber einen Neukunden konnte ich unmöglich gleich mit solch einem Ansinnen
überfallen. Aber mir kam eine andere Idee.
Ich bat das Team, mich einen Augenblick zu entschuldigen, ging in meine Küche und rief Lisbeth an.
»Lisbeth, das Fernsehteam ist hier. Wir brauchen Bilder von dir bei der Arbeit. In einer schicken Wohnung, die richtig was
hermacht.«
Lisbeth holte tief Luft, vermutlich um mich zu fragen, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, doch dann hörte ich, wie
sie den Mund wieder zuklappte. Lisbeth ist ein Schnelldenker. Sie fragte leise: »Irgendeine Wohnung?«
»Eine Wohnung, die etwas hermacht«, wiederholte ich.
»Das habe ich begriffen. Aber es muss nicht die Wohnung eines Kunden sein?«
»Genau«, sagte ich erleichtert.
»Moment«, murmelte sie. »Ich rufe gleich zurück.«
Lisbeth ist ein Organisationstalent mit der Durchsetzungskraft einer Brandrodung. Und diese Frau, die in den ersten siebenundfünfzig
Jahren ihres Lebens die Eifel nur zweimal verlassen hat, hat in den zwei Monaten, die sie in der Stadt ist, bereits einen
Bekanntenkreis aufgebaut, den die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben nicht erlangen. Ein großer Teil davon ist natürlich
Hannelore geschuldet, aber Lisbeths Kontakte reichten inzwischen weit darüber hinaus. Ihre Bekanntschaften sind ausschließlich
weiblich, gebildet und – interessanterweise – fast alle recht vermögend. Es sind geschiedene, verwitwete oder ledige Frauen,
die Lisbeth über
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