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Schmutzengel

Titel: Schmutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gewesen, hätte er mir vielleicht sogar sympathisch sein können.
    Der Mürbchenbote stand wie eine Steinstatue in der Ecke der Wohnküche herum und fühlte sich sichtlich unwohl. Geschieht ihm
     recht, dachte ich. Trotzdem machte er mich irgendwie nervös.
    »Nehmen Sie doch Platz«, forderte ich ihn auf.
    Er setzte sich an den Tisch, ich stellte Kaffeetasse und Teller vor ihn und setzte mich ihm gegenüber.
    »Also, was führt Sie am Sonntagmorgen hierher?«, fragte ich. Die Erwähnung des Wochentags sowie der Tageszeit wollte ich mir
     nicht verkneifen, Kunde hin oder her.
    Er räusperte sich. »Also – wie soll ich es sagen? Aus meinem Kühlraum ist etwas verschwunden«, begann Lauenstein. Er musterte
     mich mit einem gequälten Blick aus seinen müden Augen.
    Ich verschluckte mich an meinem Kaffee und hustete laut und lang. Dabei versuchte ich, mein Entsetzen zu verbergen.
    Der Kühlraum!
    Allein die Erwähnung dieses Wortes trieb mir den kalten Schweiß auf die Haut. Ich hustete weiter und räusperte mich noch mehrfach,
     wollte Zeit schinden.
    Lauenstein wartete ab, bis ich mich wieder beruhigt hatte.
    Irgendetwas musste ich sagen, also versuchte ich es mit einem neutralen »Was denn?«
    Er zögerte. Wand sich auf seinem Stuhl. Trank noch einen Schluck Kaffee, nahm das Mürbchen, brach eine Ecke ab, die er mit
     Zeigefinger und Daumen zu einem kleinen pappigen Teigball zusammendrehte.
    Er sah genau so aus, wie ich mich fühlte, dachte ich wieder.
    Er straffte die Schultern und holte Luft. »Eine Leiche«, sagte er, machte den Mund auf und warf den Teigball hinein.
    Ich starrte ihn an, während er hektisch auf dem Teigstückchen herumkaute und es dann mit übertrieben gestrecktem Hals wie
     ein Straußenvogel herunterschluckte.
    Mein Gehirn hatte kurzzeitig jegliche Tätigkeit eingestellt. Nichtdenken hat auch was für sich, stellte ich fest. Doch dann
     schossen mir tausend Fragen durch den Kopf. »Verarschen Sie mich?« Das war mir einfach so rausgerutscht.
    Lauenstein zuckte zusammen, als habe ihm jemand eine Kopfnuss gegeben. »Sehe ich etwa so aus?«
    Ich zögerte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. Genau genommen sah er wie ein Junge aus, der bei einer großen Dummheit erwischt
     wurde, aber bereit ist, dafür geradezustehen. Er wollte mich jedenfalls nicht hereinlegen, das war mir klar.
    Alles andere allerdings war mir total unklar.
    Er wusste also, dass in seinem Kühlraum eine Leiche gelegen hatte. Meine Interpretation der Situation damals war vollkommen
     falsch gewesen. Aber was war nur passiert? Nichts passte zusammen. Und solange Lauenstein mir nicht erklärte, was es mit der
     Leiche und seinem seltsamen Auftritt hier auf sich hatte, würde ich mir lieber die Zunge abbeißen, als meine unrühmliche Beteiligung
     in diesem Schauermärchen zuzugeben.
    »Erzählen Sie mir die ganze Geschichte«, forderte ich ihn auf.
    Er wand sich auf dem Stuhl, biss noch ein Stück vom Mürbchen ab, spülte mit einem Schluck Kaffee nach, verzog das Gesicht,
     sah unschlüssig aus und traute sich dann doch, nach Milch zu fragen. Ich war erleichtert, aufstehen und die Milch holen zu
     können, nur um dann festzustellen, dass diese schlecht war. Doch Lauenstein nahm auch die kleinen, gelben Flöckchen in seinem
     Kaffeebecher hin wie ein geprügelter Hund. Was hatte der Mann für ein Problem, verdammt noch mal?
    »Die Leiche in meinem Kühlraum war mein Vater.«
    Ich prustete in meinen Kaffee.
    »Höchstwahrscheinlich.«
    Mir fiel die Kinnlade herunter. Leider hatte ich noch Kaffee im Mund. Sehr unappetitlich. Lauenstein schien das zum Glück
     nicht zu bemerken, er starrte weiter in seine Tasse mit den Milchflocken.
    »Meine Mutter will wieder heiraten«, sagte er.
    »Und da hat sie ihn umgebracht?«
    »Himmel, nein!« Der demütige Fatalismus verschwand aus seinem Gesicht und machte ehrlichem Entsetzen Platz. »Wie kommen Sie
     denn darauf?«
    Das fragte ich mich auch. Ich hatte nie einen Hang zum Schwarzsehen, glaube an das Gute im Menschen und wärenoch vor wenigen Tagen niemals auf solche Gedanken gekommen. Offenbar hatten die Ereignisse deutliche Spuren in der Wahrnehmung
     meiner Umwelt hinterlassen. Das konnte ich natürlich nicht zugeben, denn dann hätte ich ja gleich die ganze Geschichte erzählen
     müssen.
    »Ich lese wohl zu viele Krimis«, murmelte ich, obwohl ich seit Monaten kein Buch angerührt hatte.
    Lauenstein beruhigte sich wieder. »Mein Vater ist vor vierzehn Jahren verschwunden. Abgehauen.

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