Schmutzige Haende
der Schulwart im Chemiesaal überraschte, schrie ich, ich sei vergewaltigt worden. Der Professor versuchte sich zu verteidigen. Er erzählte allen, wie sich die Dinge verhielten. Man glaubte ihm nicht. Ich konnte damals sehr gut auf unschuldig machen. Ich überredete meinen Vater, ihn nicht anzuzeigen. Der Professor wurde versetzt. Ich verließ die Schule. Der Rest ist allgemein bekannt. Aber du sollst eines wissen: Ich habe mich zwar nicht amüsiert, habe aber auch nicht gelitten. Mir war alles egal. An der ganzen Sache interessierte mich nur das Geld. Damit habe ich mir die Freiheit erkauft. Das bin ich.
– Warum? Warum erzählst du mir das alles?
Sie mied seinen Blick.
– Der erste Junge, für den ich etwas empfand, wollte mich benutzen. Alle benutzen jemanden auf dieser Welt. Deshalb musst du mir die Wahrheit sagen, Doktor Scialoja, was willst du von mir?
– Ich liebe dich, Patrizia.
– Lüg mich nicht an. Ich bin nichts wert, nichts, verstanden?
Einen Augenblick lang glaubte Patrizia, Scialoja würde ihr nicht mehr zuhören. Er hatte sich ans Ufer gekniet und ließ die Hand mit einer halbkreisförmigen Bewegung durch das Wasser gleiten. Mit dem Blick folgte er den Volten des Löschflugzeuges. Als er aufstand, betrachtete er sie mit bitterem Lächeln.
– Ich habe mich nicht auf den ersten Blick in dich verliebt. Lange habe ich dich nicht geliebt, Patrizia. Ich habe deinen Körper begehrt. Deine Gleichgültigkeit hat mich erregt. Deine wilde Gleichgültigkeit beim Sex. Am liebsten wäre ich alle Männer gewesen, mit denen du ins Bett gingst. Alle gleichzeitig, im selben Augenblick. Die Vorstellung, dass du mit ihnen zusammen warst, hat mich erregt. Die Vorstellung deines sich darbietenden Körpers hat mich erregt. Diese Beziehungen ohne Leidenschaft. Die Vulgarität des Verhandelns. Das Geld auf dem Nachttischchen. Die weggeworfenen Kondome. Das Latex. Die Handschellen. Alle diese Dinge, die zu gebrauchen du mich hättest lehren können … an meinem und an deinem Körper … ich habe davon geträumt, in dein Zimmer zu stürmen und dem, der auf dir lag, eine Kugel in den Kopf zu jagen und an seine Stelle zu treten, in dich einzudringen … ich habe davon geträumt, dich zu entführen und als meine Gefangene zu halten, Tag und Nacht, bis zum Tod … in der Früh aufzuwachen und wie ein Hund den Geruch deiner Nacht zu schnüffeln …
Patrizia lächelte ihn überraschenderweise an, wie erleichtert.
– Siehst du? Das ist nicht Liebe. Das ist die alte Geschichte vom Bullen und der Hure …
Sie zog die Füße aus dem Wasser, als würde sie frieren, und bückte sich, um die Sandalen anzuziehen.
Scialoja packte sie am Arm.
– Du hast recht. Die Liebe ist später gekommen. Als ich dich ins Gefängnis geworfen habe. Ich werde nie den Morgen vergessen, als du zum Verhör kamst. Schmutzig, unfrisiert, wütend. Da war ein Leuchten in deinen Augen … ein herausforderndes Leuchten … zeig mir, wozu du fähig bist, Bulle … es wird dir nicht gelingen, mich zu beugen … Und als du dieser Terroristin das Leben gerettet hast … da habe ich eine andere Patrizia entdeckt. Eine großzügige Frau. Eine Königin. Du hast die Kloake unbeschädigt verlassen. Unschuldig … Da hat mir dein Körper nicht mehr gereicht. Ich wollte dich auf absolute, totale Weise besitzen, ich wollte mit dir verschmelzen, in dir aufgehen … wenn das nicht Liebe ist … Und jetzt fragst du mich: Was willst du von mir? Du weißt es bereits, Patrizia. Du weißt bereits, dass du das Wichtigste in meinem Leben bist.
Patrizia nahm den Kopf zwischen die Hände.
– Nein, nein, flüsterte sie.
Scialoja umarmte sie zärtlich. Sie ließ den Tränen freien Lauf. Sie weinte, weil Scialojas Worte, sein leidenschaftlicher Ton ihr das Gefühl gaben, etwas Schmutziges zu sein, ein schreckliches, schmutziges Ding, das nur zur Lüge und zum Betrug fähig war. Sie weinte, weil sie nicht die Kraft besaß, dem Gefühl Einhalt zu gebieten, das sie zu überschwemmen drohte. Sie weinte, weil sie sich in ihn verliebt hatte. Und weil das nie hätte passieren dürfen.
Plötzlich stieß sie ihn zurück, und in ihren Augen leuchtete wieder das böse Licht, das er so gut kannte.
– Geh weg! Folge mir ja nicht. Ich bin nichts wert … nichts, verstehst du? Nichts!
2.
Angelino war mit schlechten Nachrichten aus Sizilien zurückgekommen. Zu’ Cosimo war verraten worden. Provenzano hatte die Vorsichtsmaßnahmen vervielfacht. Er wechselte ununterbrochen den
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