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Schmutzige Haende

Schmutzige Haende

Titel: Schmutzige Haende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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ihr. Patrizia musste eine Entscheidung treffen. Entweder oder. Würde sie die Kraft dazu haben? Oder würde sie sich treiben lassen, wie sie sich ihr ganzes Leben hatte treiben lassen? Maya musste sich zusammenreißen, um nichts zu unternehmen. Patrizia musste die Entscheidung allein treffen. Sie durfte sich nicht einmischen. Trotz aller Zweifel hielt sich Maya an das Schweigegebot. Sie würde eine Freundin nie verraten. Aber während sie einen komplizenhaften Kuss mit Patrizia tauschte, konnte sie die düstere Ahnung nicht unterdrücken, dass sie sich vielleicht nie wiedersehen würden.

Die Macht der Gefühle
1.
    Nach ihrer Rückkehr aus Portofino ging Patrizia Scialoja zwei Tage aus dem Weg. Am dritten Tag bat sie ihn, mit ihr zum See zu fahren.
    – Zum See? Aber das ist ein so deprimierender Ort.
    – Ich muss mit dir reden.
    – Unbedingt. Was hältst du von einem Candle-Light-Dinner in Cannes?
    – Fahr mit mir zum See, ich bitte dich.
    Mayas Worte hatten ihr keine Ruhe gelassen.
Du musst eine Entscheidung treffen. Du kannst den Augenblick der Wahrheit nicht weiter hinausschieben
. Zuerst hatte sie ihrer weisen Freundin recht gegeben. Aber in Rom hatte sie eine stumme Wut gepackt. Warum? Warum eine Wahl treffen? Warum sich entscheiden? Am einfachsten wäre es gewesen, zu verschwinden. Patrizia, die sowohl für den einen als auch für den anderen auf immer verloren war. Das Gespenst Patrizias. Scialoja hätte sich früher oder später damit abgefunden. Aber Stalin hätte sie nicht einfach so gehen lassen. Patrizia hatte die Konten leergeräumt. Dem Bankdirektor hatte sie erklärt, dass sie sich ein Haus kaufen wolle. Der Mann stand ganz gewiss auf Stalins Gehaltsliste und würde die Information weitergeben. Egal, ob er ihr glaubte oder nicht. Mittlerweile empfand sie ihm gegenüber nur mehr einen leisen Widerwillen. Sie brauchte nur ein wenig Vorsprung. Aber als sie bereits die Koffer gepackt hatte, als alles bereit war, überkam sie plötzlich ein unerklärliches Gefühl der Verschwendung. Du kannst dich nicht ein Leben lang verstecken, Patrizia. Überleben allein reicht dir nicht. Irgendwo wartet ein Licht auf dich. Und während sie sich die Sandalen auszog und die Füße in den See tauchte, während sie bei der Berührung mit dem kalten Wasser erschauderte, wusste sie nicht, was sie sich von dieser Begegnung wünschen sollte: die Bestätigung der Ängste, die sie während ihres ganzen falschen Lebens begleitet hatten, oder die Explosion einer irrationalen Hoffnung, die von Tag zu Tag größer wurde.
    – Hier war ich mit meinem ersten Freund. Er hieß Gerardo, seine Freunde nannten ihn Gerry. Er war ein kleiner Dealer. Er pflanzte Gras und verkaufte es im Schulhof. Er sagte, er würde nach Amerika auswandern. Er sagte, er würde Amerika erobern. Und er sagte, dass ich mit ihm nach Amerika gehen solle. Er sagte, Amerika würde mich vor mir selbst retten.
    Der Sommer hatte auch in Castel Gandolfo Einzug gehalten. Eine philippinische Familie saß auf den Bänken auf der zum trüben Wasser des Sees hin steil abfallenden Erdterrasse und verzehrte ihr Mittagessen. Ein gelbrotes Löschflugzeug kam in regelmäßigen Abständen zum Auftanken vorbei. Zwei Kanufahrer paddelten ungestüm und riefen sich gegenseitig scherzhafte, anfeuernde Worte zu.
    Scialoja nahm ihre Hand zwischen die seinen. Er wollte etwas sagen. Sie bedeutete ihm zu schweigen.
    – Aber mit unserem bisschen Geld hätten wir nicht nach Amerika fahren können. Eines Tages bemerkte Gerry, wie mich ein paar der älteren Jungs anschauten … Jungs aus guter Familie … einer von ihnen machte ihm einen Vorschlag. Er sagte, er würde mit mir darüber sprechen. Er fragte mich mehr oder weniger, ob ich mit ihnen ins Bett gehen würde. Für Geld. Ich sagte nein. Ich schickte ihn zum Teufel. Ich weinte und heulte. Er warf sich vor mir auf die Knie, bat mich um Verzeihung. Ich antwortete ihm, dass wir uns nie wiedersehen würden. Noch am selben Abend rief ich einen der Jungen an. Wir vereinbarten den Preis und verbrachten das Wochenende in der Villa seiner Familie, am Circeo. Dann stellte er mich seinen Freunden vor …
    – Patrizia …
    – Alles war besser als meine Scheißfamilie. Alles. Wenn es mein Schicksal war, mich zu verkaufen, wollte ich es tun, aber zumindest auf eigene Rechnung. Ohne Boss. Zuerst kamen die Schüler, dann die Professoren. Das Gerücht verbreitete sich rasch. Sie stellten sich an, um mit mir ins Bett zu gehen. Und zahlten. Als mich

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