Schmutzige Haende
würde man ihnen kein Haar krümmen. Was ihn anbelangte, wusste er, dass es nur eine Frage der Zeit war. Aber solange es ging …
Mittlerweile ging es zwei Jahre so, er versteckte sich und misstraute allen und jedem, bis er durch einen Mittelsmann, den er auf Pianosa kennengelernt hatte, von Doktor Rossetti rekrutiert wurde. Rossetti suchte jemanden, der keine großen Ansprüche stellte und etwas Stoff in Mittelitalien verhökerte. Manuele hatte nur einen einzigen Anspruch: zu überleben. Ein Handschlag besiegelte die Abmachung. Daraufhin waren sie einander nähergekommen. Manuele hatte ihm seine Geschichte erzählt, und Rossetti hatte ihn gelobt. Eine gute Sache, seine Gefühle nicht zu verraten, hatte er zu ihm gesagt. Seinerseits hatte er sich gerühmt, Verbindungen zur Mafia zu haben, er versprach, ein gutes Wort für Manuele einzulegen, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergab. Dann hatte ihm Rossetti mitgeteilt, dass der Verkauf für einige Zeit eingestellt würde. Darauf folgten eintönige Monate voller Elend, voller Angst.
Schließlich der Anruf.
– Es tut sich was. Ich habe eine Abmachung getroffen. Ich habe sie überzeugt, dich in Ruhe zu lassen. Rühr dich nicht von der Stelle, ich schick dir einen Mann.
Und die Hoffnung war auferstanden. Und Manuele dachte, dass er bald Frau und Kinder umarmen würde. Dass er seinen Platz im Leben zurückbekommen würde. Dass alles, was er von diesem Rossetti gehört hatte, als er noch ein glückliches und respektiertes Mitglied der Cosa Nostra war, stimmte: Rossetti war ein mächtiger Mann, mit dem sich sogar die Bosse an den Verhandlungstisch setzten.
Und ein großzügiger Mann, der sich an ihn erinnerte, der ihn nicht in diesem Kaff in den Marken verrotten ließ.
Und als er am Morgen nach dem Anruf, genau um acht Uhr, dem Unbekannten mit dem Motorradhelm entgegenging, der auf der Staatsstraße neben dem großzylindrigen Motorrad auf ihn wartete, war sein Lächeln das eines glücklichen und hoffnungsfrohen Mannes.
Aber der Unbekannte zog eine Pistole mit Schalldämpfer aus der Jackentasche und verpasste ihm zwei Schüsse aus nächster Nähe, die ihm das halbe Gesicht wegbliesen.
Pino Marino ließ das Motorrad auf einem öffentlichen Parkplatz in Macerata stehen und fuhr im Zug nach Rom zurück. In einem Tabakladen in der Nähe des Bahnhofs hatte er ein Heft und ein Kugelschreiberset gekauft. Während der ganzen Fahrt zwang er sich, die Muttergottes zu skizzieren. Eine Muttergottes mit Valerias Antlitz. Aber die Kugelschreiber folgten nicht seinen Gedanken, und das Ergebnis war wirres Gekritzel. Er dachte an den Mann, den er umgebracht hatte. Es war nicht das erste und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal gewesen. Aber dieser Mord hatte ein merkwürdiges Gefühl in ihm zurückgelassen. Wer war dieser Mann? Was hatte er sich in den Augen Stalins zuschulden kommen lassen? Hatte er irgendwo eine Frau, die auf ihn wartete? Kinder? Du darfst nicht zulassen, dass es Menschen aus Fleisch und Blut werden, hatte ihm Stalin während der Ausbildung eingeschärft. Für dich sind es nur Zielscheiben. Wenn sie zu Menschen werden, ist das der Anfang vom Ende. Gut, jetzt wusste er, dass er einen Menschen umgebracht hatte. Stalin hatte befohlen und er hatte den Befehl ausgeführt. Aber seine Hand hatte den Abzug abgedrückt. Seine Hand, nicht die Stalins. War das der Anfang vom Ende? War das die „Schuld“, von der in gewissen Büchern die Rede war, die er gelesen hatte, und welche er immer etwas amüsiert abgetan hatte? Was hatte das Ganze mit dem Mädchen zu tun? Pino war durcheinander. Er wollte sie wiedersehen. Sein Wunsch hatte die Heftigkeit eines plötzlich wiedererwachten Gefühls. Und dieses wiedererwachte Gefühl ging mit einer Art von archaischer Angst einher. Ich darf sie nicht suchen, sagte er sich schließlich und warf Heft und Kugelschreiber aus dem Fenster. Ich darf nicht. Sie würde mich vom Weg abbringen. Sie wird mich Stalin entfremden.
Aber sobald er am Bahnhof angekommen war, rief er sie aus einer Telefonzelle an.
Auch Stalin machte an diesem Abend einen Anruf. Genau um Mitternacht. Angelino Lo Mastro war noch wach.
– Hast du ferngesehen?
– Ja. Du warst gut.
– Gut. Das nächste Mal reden wir über was Ernstes.
Er legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Beinahe im selben Augenblick läutete wütend das Handy. Er machte es aus. Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit. Hin und wieder musste man sich eine kleine Genugtuung leisten. Was den
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