Schmutzige Haende
alten Zeiten.
Angelino kam aus der Küche zurück, mit zwei Tassen Kaffee, kurz und schwarz, wie es sich gehörte.
Zu’ Cosimo schaute ihm direkt in die Augen.
– Du kannst ruhig sein. Ihr könnt alle ruhig sein. Die
convenienza
geht auf.
Diesmal hielt Angelino seinem Blick stand. Der Junge hatte sich nicht korrumpieren lassen. Man musste Nachsicht walten lassen, ihm und all den anderen gegenüber, die bereits vom Wurm angefressen waren. Sie hatten ein Exempel statuiert, das musste reichen. Jetzt ging es darum, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Mit der Zeit würde die Kosten-Nutzen-Rechnung, die
convenienza
, aufgehen.
– Fahr nach Mailand zurück. Sprich mit Giulio Gioioso und sag ihm, sein Freund soll seinen Verpflichtungen nachkommen. Wegen ihm haben wir Zeit und Geld verloren – denn Zeit ist Geld –, deshalb soll uns der Freund ein kleines Geschenk machen …
– Wie klein?
– 1,5 Prozent. Eine angemessene Kosten-Nutzen-Rechnung … Und weil wir gerade von Kosten-Nutzen sprechen: Wieviel hast du für das Mineralwasser bezahlt?
– Zweihundert Lire.
– Das nenn ich angemessen.
Zu’ Cosimos Gesicht verfinsterte sich, er schüttelte den Kopf, schnaubte. Er erzählte, dass jeden Tag einer vom Supermarkt zu ihm käme. Er brächte ihm sechs Flaschen Mineralwasser und verlangte dafür fünfzehnhundert Lire. Das Arschloch machte also jeden Tag einen Gewinn von dreihundert Lire.
– Für die Dienstleistung, stellte Angelino fest, dem langsam etwas dämmerte.
– Aber das war nicht vereinbart. Der macht seine eigene
convenienza
. Und dort, wo jemand eine eigene Kosten-Nutzen-Rechnung anstellt, zweigt er was ab!
Die Mineralwasser-Lieferung stand unmittelbar bevor, deshalb bat Zu’ Cosimo Angelino, er möge ihm noch ein paar Minuten Gesellschaft leisten. Er möge da sein, wenn der Laufbursche aus dem Supermarkt kam. Dann würde ihm Zu’ Cosimo eine Kugel durchs Maul jagen, damit er kapierte, worin Bildung und Geschäftsmoral bestanden, und dann würde Angelino wohl so freundlich sein, sich um die Leiche zu kümmern.
Genau in diesem Augenblick begriff Angelino, dass Zu’ Cosimo völlig verrückt war. Alt und verrückt. Er dachte an das auserkorene Opfer: Saro Basile, sechzig Jahre alt, sieben Kinder, drei Zähne, steifes Bein. Der Supermarkt im Einkaufzentrum La Vampa hatte ihn aus Mitleid eingestellt. Zu’ Cosimo war der Sinn für die Realität abhandengekommen … Der Cosa Nostra stand eine Versammlung von Verrückten vor. Alten Verrückten. Sie verfolgten strikt den einmal eingeschlagenen Weg, während sich die Welt in eine ganz andere Richtung drehte. Angelino Lo Mastro hatte absolut keine moralischen Einwände gegen Gewalt. Der kluge Einsatz von Gewalt war einer der Grundpfeiler der Organisation. Die Gewalt diente dazu, die Dinge zu regeln, sie war der einfachste und unmittelbarste Weg, um von den zahlreichen Propheten des Chaos verstanden zu werden. Aber was hatte Gewalt mit dem Schicksal dieses armen, hinkenden Teufels zu tun? Das war nur dumm! Nein, nein! Die Cosa Nostra musste sich ändern! Die Cosa Nostra musste mit der Zeit gehen! Und die Zeit forderte einen tief greifenden Wandel. Neuerungen. Fortschritt. Wenn doch er eines Tages gemeinsam mit einem anderen jungen Mann wie er selbst …
– Es wird spät, flüsterte Zu’ Cosimo. Bitte schau mal, ob er schon kommt, Angelino.
Am liebsten hätte Angelino Lo Mastro den Alten zerquetscht wie eine Laus. Aber dazu war er nicht imstande. Angelino Lo Mastro hatte Angst vor ihm.
Der arme Teufel, der Familienvater, das Schaf, ging inzwischen dem sinnlosesten Tod entgegen, den man sich nur vorstellen konnte, während Zu’ Cosimo lächelte und sich darauf freute, ihn kaltzumachen …
Da hatte Angelino Lo Mastro eine Idee.
– Aber seid ihr euch sicher, dass die
convenienza
stimmt? Das hier ist immerhin ein sicherer Unterschlupf, ihr werdet ihn verlassen müssen …
Das Lächeln auf Zu’ Cosimos Lippen erlosch. Sein Blick irrte im Zimmer umher, er vermied es tunlichst, Angelino anzusehen.
An der Tür klopfte es. Angelino rührte sich nicht. Zu’ Cosimo seufzte.
– Mach auf. Gib ihm zwölfhundert Lire und sag ihm, dass sie ab morgen einen anderen schicken sollen.
Vecchios Waisen
1.
Verkehrslärm vom Lungotevere. Abenddämmerung über den Platanen, durch die die letzten Ausläufer des Westwinds strichen. Scialoja saß an Vecchios ehemaligem Schreibtisch und erteilte Camporesi Befehle, dem jungen Leutnant, den er zu seinem Assistenten
Weitere Kostenlose Bücher