Schmutzige Haende
gemacht hatte.
März. Mord an Salvo Lima. Das jahrzehntelange Gleichgewicht zwischen Politik und Mafia war endgültig gekippt. Falcone im Mai. Zwei Monate später Borsellino. Dazwischen war Scalfaro zum Präsidenten der Republik gewählt worden. Und schließlich im September der Mord an Salvo, dem Steuereintreiber. Dem Letzten auf der Liste. Zumindest im Augenblick. Die politische Elite der Ersten Republik versucht den von
Mani pulite
entfachten Sturm zu überleben. Craxi kämpft wie ein Löwe, aber sein Schicksal ist besiegelt. Die Postkommunisten schlüpfen indessen in den Sonntagsstaat, sie können es kaum erwarten, an die Macht zu kommen. Mit dem Fall der Berliner Mauer ist auch ihr Auftrag, in der Mitte zu bleiben, hinfällig geworden. Die uralten Übereinkünfte sind vom Sprengstoff abgelöst worden. Alle gegen alle. Absolute Handlungsfreiheit für alle. Großes Chaos unter dem Himmel, eine ausgezeichnete Gelegenheit für fähige und vorurteilslose Männer. Kein System hält lange einen Überschuss an Dynamik aus. Und früher oder später ergibt sich wieder ein Gleichgewicht. Aber welches? Im Augenblick: weit verbreitete Besorgnis in Wirtschafts- und Finanzkreisen, keinerlei Garantie für die zukünftige Ordnung. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich falsche Seilschaften, gefährliche Geheimdienste durchsetzen. Die Freimaurer in Aufruhr. Die Katholiken wissen nicht, ob sie sich auf die Seite der Rechten oder der Linken schlagen sollen. Selbst der Papst staunt über das enorme Vakuum, das der Niedergang des Kommunismus hinterlassen hat. Die Mafia eine treibende Kraft. Nach dem Anschlag auf Borsellino hatte die ROS, die Spezialeinheit der Carabinieri, Verhandlungen mit der Cosa Nostra aufgenommen. Mithilfe von Vito Ciancimino, dem Ex-Bürgermeister von Palermo, dem Mann, der mit dem Clan der Corleonesen von Riina verbunden war. Im Augenblick war er mehrmals verurteilt und unter Hausarrest. Ciancimino war nach allen Richtungen offen. Nicht alle Teile der Cosa Nostra befürworteten die Strategie der Massaker. Die Spezialeinheit setzte auf die bedingungslose Kapitulation der Untergetauchten. Riina wollte etwas, aber niemand wusste, was. Diese Tatsachen waren einem Kreis gut Informierter wohlbekannt. Mit Ausnahme der Richter, für die wie immer die Schweigepflicht galt. Worum ging es? Einigen um die Macht, anderen einfach ums Überleben. Die Mafia: eine Kraft im Spiel. Ihre Waffe: Massaker.
Er glaubte, deutlich und überzeugend gewesen zu sein. Camporesi schaute belämmert drein.
– Habe ich mich klar genug ausgedrückt, Leutnant?
– Um die Wahrheit zu sagen …
– Muss ich noch deutlicher werden? Gut. Wir müssen mit der Mafia verhandeln. Haben Sie endlich kapiert?
– Mit der Mafia verhandeln? Das geht doch nicht! Das ist unmoralisch!
Scialoja wusste nicht, ob er ihn anbrüllen oder ob er über diesen zimperlichen Tonfall lachen sollte. Um Himmels willen, Junge! Willst du mir wirklich weismachen, dass du nicht weißt, welche Rolle die Camorra und die ehrenwerte Gesellschaft beim „Zug der Tausend“ – der Einigung Italiens – gespielt haben? Wie sie mit Crispis Präfekten zusammengearbeitet haben? Wie sie die Landung der Engländer und Amerikaner ’43 begünstigt haben? Bei der Plünderung Palermos mit dabei waren? Warum überlässt du diesen Blödsinn nicht den revisionistischen Historikern?
– Das ist keine Frage der Moral. Ich habe Ihnen einen Befehl erteilt. Führen Sie ihn aus!
Im Übrigen war Empörung wohl das Mindeste, was man von einem erwarten konnte, auf dessen Schreibtisch das historische Foto der Richter Falcone und Borsellino stand. Überraschend an der Sache war vielmehr: Gab es noch Italiener, die sich einer Idee von Staat verpflichtet fühlten, und zwar einer, die der Staat als Erster als kontraproduktiv verurteilt hätte? War Camporesi ein naiver Idealist oder ein geschickter Lügner?
Die einzige Möglichkeit bestand darin, abzuwarten, wie sich die Angelegenheit entwickelte. In gewissen Fällen bringt nur der Tod Gerechtigkeit. Hieß es nicht von Falcone, er hätte ein Attentat fingiert, um zu Ruhm und Ehren zu kommen? Hatte man ihn und Borsellino nicht abschätzig als Professionisten der Antimafia bezeichnet?
Falcone, Falcone … Borsellino … Borsellino … die Helden … die Vorbilder … die Ikonen des Italien, so wie es sein sollte. Wie es nie sein würde …
Scialoja hatte Falcone im Januar kennengelernt. Das Abendessen war extra organisiert worden, um sie
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