Schmutzige Haende
in Livorno ein paar Hafenarbeiter provoziert hatten. Sie hatten nicht mit den Streitkolben gerechnet. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sich die anderen soviel trauten. Ehre den Genossen jedenfalls. Nachdem sie verprügelt worden waren, hatten jene sie mit Grappa und Schlägen auf den Rücken wieder aufgerichtet. Es hatte sich herausgestellt, dass der Vollkoffer ein halber Kommunist war. Der einzige Rote, für den Guercio so etwas Ähnliches wie Dankbarkeit verspürte.
Guercio entledigte sich seiner Militärstiefel und streckte sich auf dem Sofa aus. Guercio schloss die Augen und glitt in den rettenden Schlaf.
Einige Stunden später kam Pino Marino zufällig im
Centro
vorbei, am frühen Nachmittag. Guercio schreckte hoch. Das Kopfweh war verschwunden. Wenn er ihm nur einen Augenblick Zeit ließ, würde er ihm erklären, was es mit dem Ächzen und Stöhnen in der Abstellkammer auf sich hatte.
4.
Sie waren in den Tolfa-Bergen, am Rande einer mir Raureif bedeckten Wiese. Guercio und Yanez kontrollierten die beiden Zufahrtswege. Mit sicheren und schnellen Schüssen brachte Pino Marino eine Dose nach der anderen zum Fallen. Im Tal hallte das Echo des Astra-Revolvers wider, den ihm Stalin aus Paris mitgebracht hatte. Nach der langweiligen Woche mit Patrizia war das männliche Training wie Frischluftatmen. Aber wie es schien, gab es nach wie vor genug Probleme. Problem Patrizia: gelöst. Jetzt war Pino dran. Der Junge war merkwürdig. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Pino reichte ihm die glühende Waffe.
– Stellen wir noch ein paar Ziele auf, Pino?
– Für heute habe ich genug.
– Irgendwas nicht in Ordnung?
– Alles okay.
– Du hast noch nie sehr gut gelogen, Pino. Mir hast du noch nie was vorgemacht. Los, sag mir alles …
– Stalin, ich … habe ein Mädchen kennengelernt …
Stalin Rossetti seufzte. Früher oder später musste das passieren.
– Los. Ich höre zu.
– Sie heißt Valeria.
Stalin horchte schweigend zu. Pino sprach stockend, gebremst von dem Bedürfnis abzuschwächen, zu bagatellisieren. Aber es gab wenig abzuschwächen und zu bagatellisieren. Die Geschichte war ernst, sehr ernst. Die Geschichte war schwerwiegend. Um die Wahrheit zu sagen, handelte es sich um eine wahrhaftige Krise. Stalin dachte an die argwöhnischen und spöttischen Worte, mit denen Vecchio seine Entscheidung, sich um den Jungen zu kümmern, zur Kenntnis genommen hatte.
„Was hatte dieser Pino dort zu suchen?“
„Er hat keine Mutter, nur eine Tante, die in Secondigliano auf den Strich geht. An diesem Tag hat sie ihn einer Freundin überlassen, die demselben Beruf nachgeht. Pasquale Settecorone hatte Lust auf eine Frau. Die Arme hat den Jungen mitgenommen. Reiner Zufall. Das ist alles.“
„Haben Sie sich die bürokratischen Aspekte der Sache überlegt, Rossetti?“
„Offiziell hat seine Tante das Sorgerecht. In Wirklichkeit wohnt Pino bei mir.“
„Dürfte ich den Grund für diesen Entschluss erfahren?“
„Mir gefallen seine Zeichnungen.“
„Meiner bescheidenen Meinung nach sind Sie drauf und dran, einen Irrtum zu begehen! Behalten Sie meine Worte im Gedächtnis und erinnern Sie sich im richtigen Augenblick daran.“
Offenbar sollte Vecchio recht behalten. Aber er würde alles tun, damit seine unheilvolle Prophezeiung nicht in Erfüllung ging. Und er würde dem Jungen nicht erlauben, auf die schiefe Bahn zu geraten.
In all diesen Jahren hatte sich Pino Marino als hervorragende Investition erwiesen. Er war ein … treuer Sohn gewesen, ein treuer und ergebener Sohn. Nur über ein Thema durfte man nicht mit ihm reden. Über Frauen. Pino Marino hatte getötet und würde wieder töten. Aber keine Frauen. Das war die einzige Bedingung, die Pino gestellt hatte, als Stalin ihm erklärt hatte, wie sein zukünftiges Leben aussehen würde. Ich bringe keine Frauen um. Pino Marino tötete keine Frauen und malte Madonnen. Stalin Rossetti akzeptierte seine Launen, weil er sich als hervorragende Investition erwiesen hatte.
Zumindest bis zum heutigen Tag.
Denn irgendwann musste es passieren. Irgendwann musste Pino draufkommen, dass er ein ganz normaler Junge war. Ein verliebter Junge mit brennenden Augen.
– Sie ist ein Junkie, Pino. Junkies kann man nicht vertrauen.
– Sie wird gesund werden.
– Ich würde dir gern glauben, aber die Erfahrung …
– Ich weiß, dass ich dir viel schulde, Stalin. Ich habe dich niemals um eine Gegenleistung gebeten. Aber jetzt …
Stalin Rossetti war ein pragmatischer
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