Schmutzige Haende
spärlichen Bildung und seines bescheidenen Gemüts fähig war, hatte er dem Mädchen deshalb klargemacht, dass sie sich nur ein wenig gedulden sollte, und er würde sie zu Pino Marino führen.
– Ich will das Arschloch nicht sehen. Ich will Stoff. Wenn du welchen hast, gut, wenn nicht, kannst du mich am Arsch lecken.
Guercio wusste, dass Junkies oft völlig unberechenbar sind. Das wusste er, weil er in seiner Jugend gemeinsam mit anderen Dumpfbacken oft lange Strafexpeditionen gegen sie unternommen hatte. Guercio erinnerte sich gern an diese Zeit. Sie schlugen ihnen die Schädel ein, sie verteilten etwas Stoff auf der Straße, sie wandten etwas Gewalt an, um das Viertel aufzuräumen. Manchmal bedankten sich die Leute bei ihnen, manchmal erwiesen sie ihnen auf konkretere Art ihre Dankbarkeit. Ein gefundenes Fressen. Und auch danach hatte er immer wieder mit Junkies zu tun gehabt. Als er Mitglied der Catena wurde, hatte ihm Stalin erklärt, dass Junkies eine wertvolle Ressource waren: hervorragende Informanten, gewiefte Einbrecher und im Falle äußerster Not sogar ideale Sündenböcke, die herhalten mussten, wenn sich kein Strohmann fand. Und in einigen Fällen hatten sie ihn sogar unterstützt: bei der Entführung und Strangulierung eines Typen, der gemeint hatte, er könnte keinen Geringeren als Stalin Rossetti erpressen. Mit den Junkies hatte er eine Zeitlang sogar gutes Geld gemacht.
Aber er wusste, wie unberechenbar sie waren. Deshalb hatte er so getan, als würde er ein wenig nachdenken, während das Mädchen auf einem Bein auf und ab wippte und an den bereits bis auf die Knochen abgekauten Nägeln knabberte. Dann tat er so, als würde er plötzlich klein beigeben und forderte sie mit einem tiefen Seufzer auf, ihn hinauf ins
Centro
zu begleiten. Sie war misstrauisch geworden. Guercio hatte eine Geste gemacht, als würde er eine Nadel halten, und dann heftig genickt. Valeria war ihm auf der Treppe sogar vorangegangen. Guercio hatte die zerrissenen Strümpfe gesehen und das große Stück Haut, das unter dem wippenden Rocksaum aufblitzte. Und dann hatte er eine Idee gehabt. Eine kleine unschuldige Idee. Doch dann war vor seinem inneren Auge plötzlich die Klinge von Pino Marinos Springmesser aufgetaucht und die Idee war augenblicklich verschwunden.
Kaum hatten sie das
Centro
betreten, und noch bevor ihn Valeria zum x-ten Mal um Stoff bitten konnte, versetzte er ihr mit der Handkante einen Schlag auf den Halsansatz. Einen harmlosen Schlag, er wollte ihr nicht wirklich wehtun. Er wollte sie nur ruhigstellen, damit er in Ruhe Pino Marino suchen konnte. Er sperrte sie in eine Abstellkammer. Aus übergroßer Vorsicht, um auf Nummer sicher zu gehen, knebelte er sie auch, aber nur ganz leicht, mit einer Serviette, die er ganz vorsichtig verknotete.
Pino Marino finden. Leichter gesagt als getan. Guercio versuchte es am Handy. Ohne große Hoffnung. Und tatsächlich: ausgeschaltet. Pino schien eine Allergie gegen Kommunikationstechnologie zu haben. Niemand wusste, wo Pino Marino wohnte. Nicht einmal Yanez. Nur Stalin hatte Zugang zu den geheimen Zimmern. Aber Stalin war weit weg, in Paris, mit seiner kleinen Freundin. Patrizia war freundlich zu ihm gewesen. Sie hatte weder zu kreischen begonnen noch ihn beschimpft, wie es ihm früher oft passiert war, wenn er mit Frauen zu tun hatte. Mit so einer an seiner Seite hätte er ein anderer Mann werden können. Ein Boss. Aber er war kein Boss, und er war nicht Stalin. Er hoffte bloß, dass das Arschloch ihr nicht allzu wehtat. Er war kein Boss. Im Augenblick war er nur der Wächter des
Centro
. Wo jedoch nie was los war und tödliche Langeweile herrschte. Und zu allem Überdruss hatte Stalin ihm auch noch verboten, sich zu vergnügen. Was im Klartext hieß: keine Weiber. Ein Leben wie ein Mönch in Klausur, und jetzt auch noch das Mädchen!
Blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf den Weg zu machen. Ein paar Orte abzuklappern, wo Pino Marino sich aufhalten könnte. Ein paar Fragen zu stellen. Und außerdem konnte Stalin jeden Augenblick zurückkommen … Guercio spürte, dass er plötzlich gewaltiges Kopfweh bekam. Das passierte immer, wenn man von ihm verlangte, einen etwas komplexeren Gedanken zu verfolgen. Guercio fläzte sich auf ein Sofa, dann versuchte er wieder aufzustehen, bevor es zu spät war. Aber es war bereits zu spät. Kopfweh, dass er kaum Luft bekam. Vergleichbar nur mit damals, als er und ein anderer Vollkoffer aus der Fallschirmspringereinheit Folgore
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