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Schmutzige Haende

Schmutzige Haende

Titel: Schmutzige Haende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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Gründer geerbt. Als ob eine Generation ironischerweise übersprungen worden wäre. Als ob der unbezwingbare Geist des Gründers beschlossen hätte, sich in jemand Würdigerem zu reinkarnieren. In einem Mädchen, das eine Frau, vielleicht eine bessere Frau werden würde als sie.
    Auf Antipaxos wimmelte es von Schiffen. Vorwiegend italienischen. Maya erkannte die Jacht des Prinzen von Wales. Kein Vergleich mit der
Nostromo
. Hin und wieder fragte sie sich, wie ihr Leben aussehen würde, wenn Ilio alles fallen gelassen hätte, um sich seiner einzigen wirklichen Leidenschaft zu widmen: dem Meer. Wer weiß, ob er es eben nicht ernst gemeint hatte. Wer weiß. Das Auge besserte sich, aber sie war gezwungen, immer eine dunkle Brille zu tragen: Das grelle griechische Licht auf dem Kies war zu viel für ihre arme, leidgeprüfte Netzhaut. Hin und wieder dachte sie, dass es ihr nicht gegeben war, die Gelegenheit zu ergreifen, die ihr der Unfall geboten hatte. Nach einem kurzen Aufbegehren war sie in das alte Muster zurückgefallen. Sie lebte ein Leben im goldenen Käfig, um das sie von allen beneidet wurde. Neid gab es tatsächlich genug. Aber es war ein dummes Leben. Ein steriles Leben. Einmal abgesehen von Ilio und der Kleinen natürlich. Die im Grunde ihr ganzes Leben waren. Kurz und gut, ein Teufelskreis. Sinnlos, sich zu beschweren. Denn sie würde weder auf den Gatten/Stier noch auf die Prinzessin/Herrscherin verzichten können. Wovon sprechen wir also? Von der sich ankündigenden Neurose einer wohlhabenden Hausfrau? Oder war da noch was? Irgendetwas in ihrer Umgebung, irgendetwas Unklares, das sich in der Luft bewegte und das sie erkannte, weil sie ein wenig von der uralten Intuition des Gründers geerbt hatte, aber nur ganz unklar und oberflächlich … so oberflächlich wie ihr eigenes Leben? Einmal hatte ihr der Gründer erzählt, wie ihm eines Tages, 1966 oder 1967, plötzlich klar geworden war, dass es bald zu einer Revolution kommen würde. So wie es der Gründer erzählte, war es eine Geschichte von Blicken. Es war eines Vormittags im Januar passiert. Kälte und Wind, auf einer Baustelle oben im Val Brembana. Bei einer Inspektion hatte sein Blick Dutzende von resignierten oder wütenden Blicken von Polieren, Wächtern, Zimmerleuten und Hilfsarbeitern gekreuzt. Aber seine Intuition war vom Blick einer Person ausgelöst worden, die nichts mit der Arbeit zu tun hatte. Vom Blick eines kaum halbwüchsigen Jungen, der herbeigeeilt war, um einem Arbeiter, der sich auf einem schwankenden Balken ganz oben auf einem wackeligen Gerüst befand, unter dichten Wolken, die einen bald bevorstehenden Regenguss ankündigten, einen Behälter mit Essen zu bringen. Der Arbeiter hatte die Jause zu Hause vergessen. Der Junge hatte die Schule geschwänzt, um ihm aus der Patsche zu helfen. Der Bauleiter erlaubte dem Arbeiter nicht, herunterzusteigen und das armselige Paket in Empfang zu nehmen. Der Junge wollte nicht klein beigeben. Der Gründer hingegen hatte befohlen, den Arbeiter zu rufen. Der Arbeiter war heruntergekommen, hatte das Paket genommen, ohne seinen Sohn zu begrüßen und hatte sich wegen des Vorfalls entschuldigt. Der Gründer hatte ihm den Tag freigegeben.
    „Geh mit deinem Sohn Mittag essen. Du bekommst trotzdem deinen Lohn. Guten Appetit.“
    Der Arbeiter hatte sich bedankt. Und da hatte der Junge ihn angeblickt. Anstelle von Dankbarkeit hatte er in den kleinen schwarzen Augen Hass gesehen. Einen uralten, tödlichen Hass. Der Gründer hatte begriffen, dass er diesen Hass auslöschen musste.
    Der Gründer war kein guter Mensch gewesen. Zuweilen gerecht, zuweilen wie ein Berserker. Der Gründer war in erster Linie ein intelligenter Mensch gewesen. Er hatte begriffen, dass etwas in der Luft lag, und er wollte nicht unvorbereitet sein. Als er sein Vorhaben dargelegt hatte, hatten sie ihn im Verwaltungsrat angesehen wie einen Verrückten. Die Eierköpfe hatten ein Urteil gesprochen. Wir unternehmen nichts. Untragbare Kosten angesichts der augenblicklichen Marktsituation. Der Gründer hatte sich nicht beirren lassen. Immerhin war er der Mehrheitsaktionär. Und deshalb war sein Wort Gesetz.
    In kürzester Zeit war seine Firma ein Vorbild an sozialer Integration geworden. Kindergärten. Urlaubsgeld. Ein ganzes Viertel reich an Infrastruktur und Grünflächen wurde aus dem Boden gestampft, den Arbeitern wurden erschwingliche Wohnungen zur Verfügung gestellt. Der Gründer hatte das Arbeiterschutzgesetz und 1968 vorweggenommen.

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