Schmutzige Haende
Und der Gründer hatte 1968 unbeschadet überlebt. Und alle hatten wieder einmal begriffen, was es hieß, der Gründer zu sein. Es hieß, in den Seelen der Menschen lesen zu können. Es hieß, rechtzeitig etwas zu unternehmen, um den Brand zu verhindern, nicht zu warten, bis die Flammen loderten, um sich dann über die Langsamkeit der Feuerwehr zu beschweren.
Diese Geschichte erzählte der Gründer liebend gern. Auch wenn sie ein trauriges Ende hatte. Der Arbeiter war eine Woche, bevor er in der für ihn bestimmten Wohnung einziehen konnte, vom Gerüst gefallen. Sein Sohn war einer der unbarmherzigsten Killer der Roten Brigaden geworden. Man hatte ihn festgenommen, als er den Gründer in eine tödliche Falle locken wollte. Als der Gründer davon erfuhr, hatte er angeboten, die Anwaltskosten zu bezahlen. Er hatte diesem Jungen viel zu verdanken. Irgendwie waren sie aus demselben Holz geschnitzt. Aber die Genossen des Rotbrigadisten waren anderer Meinung. Und nach einem oberflächlichen Prozess erstachen sie ihn im Sondergefängnis von Novara.
Eine italienische Tragödie, sagte der Gründer. Die Moral von der Geschichte ist, dass wir alle im Lauf der Zeit Verluste hinnehmen müssen.
Und Maya war sich auf eine zwar diffuse Weise, jedoch absolut sicher, dass irgendetwas in der Luft lag. Doch besaß sie nicht die Gabe des Gründers zu begreifen, was. Die Zeichen zu verstehen, die das Vakuum der Gegenwart barg. Ihrer Gegenwart und der der anderen.
– Papa! Papa ist zurück.
Ilio sah finster drein.
– Entschuldige. Plötzliche Schwierigkeiten. Ich muss heute Abend in Mailand sein.
– Aber es ist Sonntag!
– Ich schicke euch die
Nostromo
zurück. Um 19 Uhr geht ein Flug von Athen. Tut mir leid. Tut mir wirklich leid!
Maya klammerte sich an seinen Arm. Eine etwas theatralische Geste, für die sie sich augenblicklich schämte.
– Ilio? Was ist los?
– Nichts, nichts … ich erkläre es dir später … tut mir leid, ich liebe dich!
Giulio Gioioso hatte keinen Einwand geduldet. Die sizilianischen Konten durften auf keinen Fall ruchbar werden. Die Richter sollten ihre Nase überallhin stecken, aber auf keinen Fall in die sizilianischen Konten. Ilio durfte auf keinen Fall mit irgendjemandem über diese Konten sprechen. Mit niemandem. Auch nicht mit Maya.
„Lass sie augenblicklich verschwinden. Ich brauche ein wenig Luftveränderung!“
Giulio Gioioso war Donatoni gegenüber unerbittlich gewesen. Aber noch unerbittlicher musste er sich selbst gegenüber sein. Scialoja war ihm auf den Fersen. Wenn er ihm Angelino nicht auslieferte, drohte er ihn zu vernichten. Was bedeutete: sicherer Tod. Giulio Gioioso musste verschwinden. Giulio Gioioso wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war. Die Dinge würden sich schon einrenken. Das Blutvergießen würde ein Ende nehmen. Giulio Gioioso träumte von einem Leben ohne Blutvergießen. Aber wenn man in Palermo zur Welt kommt und sein kostbares Leben einer Reihe von Gefälligkeiten verdankt, wird man früher oder später aufgefordert, die Rechnung zu begleichen. Giulio Gioioso beneidete alle, die nicht auf Gefälligkeiten angewiesen waren, um ein kostbares Leben zu führen. Giulio Gioioso beneidete Ilio. Und liebte Maya. Giulio Gioioso hasste seine Vergangenheit und seine Heimat. Aber da war nichts zu machen. So war es nun mal gelaufen und so würde es immer laufen. Deshalb rief Giulio Gioioso Angelino Lo Mastro an und sagte ihm, alles sei unter Kontrolle. Angelino Lo Mastro dankte ihm und sagte, er solle in den nächsten Tagen, wenn nicht schon in den nächsten Stunden, den Fernseher aufdrehen, denn irgendetwas würde geschehen.
2.
Die Jugendlichen der Therapiegemeinschaft bereiteten die Bühne für die
Festa della Repubblica
vor.
Ein Minister wurde erwartet oder zumindest ein Staatssekretär.
Ein Kardinal wurde erwartet oder zumindest ein Priester.
Die Jugendlichen der Therapiegemeinschaft waren stolz auf ihre Fortschritte, auf das, was sie erreicht hatten.
Die Jugendlichen der Therapiegemeinschaft grüßten Pino Marino wie einen von ihnen.
Pino Marino lächelte schüchtern und gab beiläufige Worte von sich.
Alle wussten, dass Pino Marino keiner von ihnen war.
Pino Marino war Valerias Freund.
Valeria würde die an den Minister oder den Staatssekretär gerichteten Grußworte vorlesen. Valeria würde den Ring des Kardinals und die Hand des Priesters küssen.
Valeria würde ein Stück auf der Klarinette spielen, begleitet von anderen Patienten, die bald entlassen
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