Schnabel, Andreas
und Carmen machte sich auf den Weg. Als sie über die Plaça Major ging, hörte sie Schritte hinter sich. Sie drehte sich um und sah Hidalgo, der ebenfalls mit einer Sicherheitsweste ausgerüstet war. »Mädchen, das Rathaus ist mein Reich. Da lasse ich dich nicht allein rein.«
»Das ist lieb, Zacarias, aber sind Sie nicht ein wenig alt für solche Unternehmungen?«
»Im Prinzip schon, aber wenn der Täter noch älter ist als ich, können wir schon mal eine Ausnahme machen, oder?«
Sie gingen an dem diensthabenden Polizisten im Rathauseingang vorbei. »Chef«, fragte er, »was machen Sie denn hier?«
»Wir räumen auf. Nimm deine Knarre und ballere auf alles, was hier gleich rauskommen will und weiße Haare hat.« Hidalgo zog seine Karte durch den Scanner, die Tür summte, und sie traten ein. » Vamos. Bonny und Clyde sind jetzt bei den Guten.«
*
Krause hatte Annmarie auf einen der Bürostühle gesetzt und ihre unverbundene Hand an der Armlehne mit Kabelbindern gefesselt. Die Füße band er an den Rollenstreben des Stuhls fest.
»Warum machen Sie das? Ich kann mich doch nicht wehren.«
Krause lächelte sie bedauernd an. »Wenn die Schmerzen zu groß werden, hilft auch keine Hypnose mehr. Und ich schwöre Ihnen, gleich wird es wehtun.« Er holte eine Stoffrolle aus seiner Jacketttasche und legte sie feierlich vor Annmarie auf den Schreibtisch. »Es tut mir leid, wenn das Ganze in dieser Umgebung etwas würdelos abläuft. Seien Sie versichert, dass ich das mehr bedaure als Sie. Eine Frau mit Stil wie Sie hätte weiß Gott eine First-Class-Behandlung verdient. Also verzeihen Sie bitte meine Improvisation.« Er rollte den Stoff auseinander, und chirurgisches Besteck kam zum Vorschein. »Sie werden verstehen, dass die Sterilität unter so widrigen Umständen nur von sekundärer Bedeutung ist.«
Annmarie schnaubte verächtlich. »Primär hingegen ist wohl der Wahnsinn, der Ihr Hirn vernebelt hat.«
Krause prüfte die Schärfe der Klinge seines Skalpells, indem er mit dem Daumen darüberfuhr, und begann zu lachen. »Ich glaube, dass mein Messer und ich viel Spaß mit dir haben werden.«
»Das werden Sie nicht wagen!« In Annmarie kroch Panik hoch. »Ich werde das ganze Haus zusammenbrüllen.«
»Das ist mir klar, schöne Frau, deshalb werde ich Ihnen auch lieber ihre Stimme nehmen.« Er kicherte hysterisch. »Die brauchen Sie ja ohnehin bald nicht mehr.«
*
Carmen und Hidalgo erreichten den Rathaustrakt, im dem das Ordnungsamt untergebracht war, ohne Zwischenfälle. Es handelte sich um sechs Büros mit jeweils drei Ein-und Ausgängen. Eine Tür führte hinaus auf den gemeinsamen Flur und je ein Mauerdurchbruch in die links und rechts angrenzenden Räume, sodass in den Büros quasi noch ein weiterer Flur entstand. Vorsichtig horchten die beiden so lange an den Bürotüren, bis Krauses Unterschlupf einwandfrei von ihnen geortet werden konnte. Er hatte den Raum rechts der Mitte dieser sechs nebeneinanderliegenden Büros gewählt. Ihnen war klar, dass sie jetzt handeln mussten, als Annmaries Schreie immer klagender wurden.
»Haben Sie schon eine Nachricht bekommen, dass Verstärkung da ist?«
Carmen schüttelte den Kopf. »Damit ist frühestens in zehn Minuten zu rechnen. Wir müssen uns allein etwas einfallen lassen, wenn wir sie einigermaßen ungeschoren aus den Fängen dieses Irren befreien wollen.«
Hidalgos Blick fiel auf den Raum der Reinigungskräfte. »Was halten Sie davon, wenn wir die Büros einmal richtig durchputzen? Sie, Carmen, sind mit Sicherheit die bessere Schützin von uns beiden. Ich beginne hinten zu saugen und treibe Ihnen den Kerl hier vorn vor die Kimme.«
Carmen nicke. »Wir sollten aber auch so aussehen wie Putzleute. Ich denke mal, dass da drin auch Kittel hängen.«
Sie suchten alles in dem kleinen Raum nach Kleidung ab. Nachdem sie den vierten Spind aufgebrochen hatten, wurden sie auch in Hidalgos Größe fündig.
»Sie müssen die Uniformhose ausziehen. Die guckt unterm Kittel vor.«
Missmutig zog er sie aus. »Carmen, wenn irgendjemand erfährt, dass ich in Unterhose auf Verbrecherjagd gegangen bin, werde ich zum Gespött der ganzen Insel.«
»Nein, Zacarias. Sie haben einen grandiosen Ruf. Sie könnten nackt über den Ballermann laufen, es würde sich nichts daran ändern.«
Er nahm diese Anerkennung kopfnickend zur Kenntnis und ließ die Hose fallen.
Carmen lächelte. »Ich nehme an, dass die Beine, die täglich aus diesem Kittel herausgucken, auch nicht viel schöner
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