Schnappschuss
doch etwas hatten sie alle gemeinsam: etwas Totes, Seelenloses lag in ihrem Blick.
Eine halbe Stunde später brachte Challis Joseph Ovens Beschreibung des Commodore und sein Computerbild des Fahrers zum Polizeipressesprecher, der beides an alle Zeitungen, Fernseh- und Rundfunkanstalten weiterleiten sollte. Dann kümmerte er sich um den Posteingang: Protokolle von Sitzungen, an die er sich kaum noch erinnern konnte. TOPs von Sitzungen, an denen er nicht teilnehmen wollte. Ergänzungen zu bereits erteilten Befehlen. Organigramme – der Begriff »Informationskaskaden« fiel ihm ins Auge. Unterlagen zu Risikoabschätzungen. Rückmeldungen des Ministeriums zu Dienstevaluierungen – was immer das heißen mochte. Strategiepapiere zu Pädophilie und Cyberporn. Ein Bericht über das Anwachsen geheimnisumwobener rechter Organisationen mit solchen Namen wie »Australia First« und »The Borderers«.
Die Tür zu seinem Büro ging auf und McQuarrie bellte: »Inspector? Auf ein Wort.«
Der Super wirkte völlig cholerisch. Challis folgte ihm ruhigen Schrittes, und als er an Ellens Schreibtisch vorbeikam, murmelte er ihr zu: »Ich wette, seine Spione haben ihm von der Hypnose berichtet.«
Sie lächelte ihm mitleidsvoll zu und flüsterte: »Viel Glück.«
Er sah, wie McQuarrie die Tür zu einem Konferenzraum öffnete und eine Gruppe von Anwärtern, die für eine Prüfung büffelten, anbellte: »Raus!«
Challis folgte ihm in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. McQuarrie trat ans Fenster, wirbelte herum, die Hände hinter dem steifen Rücken, und wippte ein wenig auf den Fußspitzen.
»Sir?«
»Korrigieren Sie mich, falls ich mich irre, aber Senior Sergeant Kellock hat mir mitgeteilt, dass Sie heute Morgen jemanden haben hypnotisieren lassen? Und Ihre Freundin war dabei?«
Challis zählte bis zehn. »Das ist richtig.«
»Wozu?«
»Um dem Zeugen dabei zu helfen, sich an das zu erinnern, was er gesehen hat.«
»Ich habe Sie gewarnt, die etwas delikateren Aspekte dieser Ermittlungen für sich zu behalten«, sagte McQuarrie knapp. »Ich werde nicht dulden, das Foto von meinem Sohn in allen Medien wiederzufinden. Ich will nicht, dass seine Teilnahme an diesen vermaledeiten Swingerpartys ruchbar wird. Und Sie ziehen los und heuern mit Wissen dieser Tessa Kane eine Hypnotiseurin an?«
Challis wurde klar, dass McQuarrie nur deswegen so tobte, weil er Angst hatte. Zu viel geschah in zu kurzer Zeit, und er hatte keinerlei Einfluss auf die Nebenwirkungen. »Sie sind gut informiert, Sir.«
McQuarrie trat vom Fenster fort und warf dabei eine Plastiktasse Kaffee oder Tee auf den Teppich, robuste Qualität, Schlingenware, ein albtraumhaftes Braungrau, auf dem kein Fleck zurückbleiben würde. »Und, wie lautet der Deal?«
»Deal, Sir?«
»Darf Ihre Freundin alle Einzelheiten noch vor der großen Presse bringen? Ein echter Knüller, sozusagen?«
»Ms. Kane ist nicht meine Freundin. Der Zeuge ist zu ihr gekommen. Sie hat mir ihr Wort gegeben, dass sie die Ermittlungen in keiner Weise gefährden wird. Sie hat eingewilligt, über diese Hypnosesitzung nur ein Stimmungsbild zu schreiben. In der Zwischenzeit habe ich ein Computerbild des Fahrers und eine Beschreibung des Fahrzeugs an die gesamte Presse weitergeben lassen.«
»Was die Mörder nur noch weiter in ihr Versteck treiben wird. Sie haben doch gesehen, was nach dieser Story mit dem anonymen Anruf passiert ist: Funkstille.«
»Diesmal verfügen wir über solide Informationen, die sicher das eine oder andere Gedächtnis beflügeln werden.«
»Und Sie vertrauen Ms. Kane? Sie vertrauen der Presse? So naiv können Sie doch nicht sein, mein Junge.«
Auf einmal war McQuarrie Challis’ väterlicher Onkel. Challis rührte sich nicht vom Fleck.
»Na, ist ja auch egal«, fuhr McQuarrie fort, zog sich einen Stuhl heran und gab Challis ein Handzeichen, es ihm gleichzutun.
»Was haben Hypnotiseure, Psychologen und Hellseher in der echten Polizeiarbeit zu suchen?«
»Sie haben ihren Anteil daran.«
Stille. McQuarrie wischte sich Staubfussel vom Ärmel. »Und was ist dabei herausgekommen?«
»Wir haben Marke und Modell des Wagens, einen Teil des Nummernschilds und eine Beschreibung des Fahrers.«
»Stimmt das überein mit dem, was meine Enkelin Ihnen erzählt hat?«
»Ja.«
»Na, das ist doch was, nehme ich an.«
Challis wartete.
»Und Sie nehmen diese Informationen ernst?«
»Ich halte sie für potenziell wichtig, Sir«, antwortete Challis behutsam. »Ich werde sie
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