Schnappschuss
meldete ihn bei der Polizei. Sie hat die Geschichte nicht überprüft, Scobie. Sie hat nicht nachgesetzt.«
Scobie seufzte. »Tja, nun hat jemand ihr nachgesetzt.«
»Aber wer tut nur so was?«
Das war die übliche Frage, die die Gutmütigen an dieser Stelle wohl stellten. Scobie selbst kam sie immer noch unter, auch nach all den Jahren bei der Polizei. Challis und Ellen stellten sich diese Frage wohl nicht mehr, nahm er an. Entweder wussten sie die Antwort, oder sie ließen sich durch nichts mehr aus der Fassung bringen.
Scobie wartete geduldig, und seine Frau sprach weiter: »Niemand hat es verdient, so zu sterben, aber diese Frau war manchmal schlimm, einfach nur schlimm. Sie war die Ersatzpsychologin im Gefängnisdienst, wurde aber nur sehr selten ein zweites Mal gerufen. Die Kinderhilfsdienste haben ihr keine Kinder mehr zugewiesen. Sie beschimpfte sie – du weißt schon, gab dem Opfer die Schuld – und uns.«
»Kannst du mir irgendwelche Namen nennen von Sozialarbeitern oder betroffenen Kindern?«
»Aber Scobie, ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeiner der Sozialarbeiter sie erschießen würde. Und wo sollte ein Kind eine Waffe herbekommen?«
Du würdest dich wundern, dachte Scobie. »Trotzdem, sie hat sich doch offenkundig Feinde gemacht, Beth.«
»Das weiß ich alles nur vom Hörensagen, ich sollte dir eigentlich gar nichts davon erzählen«, wiegelte seine Frau ab, nahm ihre Sachen und wollte gehen.
»Und wie stehts mit Liebhabern?«
»Aber Scobie, woher sollte ich denn so etwas wissen?«
»Kannst du dich bitte umhören, Liebes? Ganz diskret? Mit wem war sie zusammen? Gibt es jemanden, der sie bedroht hat, jemanden, dem ihre Entscheidungen Schaden zugefügt haben … wir müssen Namen haben, und sei es nur, um sie von der Liste der Verdächtigen streichen zu können.«
Beth verzog das Gesicht wie unter Schmerzen, doch dann gab sie ihm ein schnelles Küsschen zum Abschied. »Ich schaue besser mal bei den Cobbs vorbei«, sagte sie, und im nächsten Augenblick eilte sie schon zu ihrem Wagen hinaus.
Scobie seufzte und kehrte wieder zur Aufnahme zurück. Kurze Zeit darauf brachte man ihn in ein Eckzimmer, in dem das Nachmittagslicht sich mühte, ein hohes, schmales Bett und die darin liegende Frau zu bescheinen, die ihn pfiffig und gut gelaunt betrachtete, so als sei sie in ihrem ganzen Leben noch nie operiert worden. »Polizist, hm?«
Mrs. Humphreys war eine bodenständige, starkknochige Frau Mitte siebzig. Scobie war der Gedanke zuwider, dass diese Knochen ihr den Dienst verweigern konnten. Er setzte sich hin und bemühte sich um einen verschmitzten Gesichtsausdruck, der zu ihrer schlauen, erwartungsvollen Haltung passte. »Mrs. Humphreys, Sie wohnen doch im Haus Nummer 283 Lofty Ridge Road in Penzance North?«
»Nennen Sie mich Joy. Und raus mit der Sprache, Sie brauchen nicht um den heißen Brei herumreden.«
Also erzählte er ihr alles.
»Ach, herrje. Und Sie glauben, diese Witzbolde waren hinter mir her?«
»Und, waren sie das?«
»Ich habe bisher ein untadeliges Leben geführt, junger Mann«, sagte sie mit Schalk in den Augen. »Alle meine Feinde sind entweder zu alt und müde, um mich noch zu erledigen, oder ich habe sie schon überlebt. Wer ist denn die Tote?«
»Sie heißt Janine McQuarrie.«
»Nie von ihr gehört.«
»Und Sie haben heute nicht mit Besuch gerechnet?«
»Nein.«
Scobie zeigte ihr ein Foto von Janine McQuarrie in der Broschüre der Bayside Counselling Services. »Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?«
»Nein.«
Scobie seufzte. »Gut möglich, dass sie sich verfahren hat und aus Versehen vor Ihrem Haus gelandet ist.«
»Ist man ihr gefolgt«, fragte Mrs. Humphreys, »oder hat man ihr aufgelauert? Und wenn ja, warum dann bei mir?«
Scobie grinste. »He, das ist mein Job.« Er hielt inne. »Die Reporter werden mit Ihnen reden wollen.«
»Na, dann mal los«, erwiderte Mrs. Humphreys. Sie ermüdete langsam, wimmerte einmal kurz vor Schmerzen und mühte sich um ein Lächeln. »Ich hab eh niemanden mehr auf der Welt außer meinem Patenkind.«
Scobie stutzte. »Ihr Patenkind?«
»Sie hat ein paar Monate bei mir gewohnt, ist aber schon wieder in London.«
Scobie nahm die Kappe von seinem Stift. »Ich glaube, Sie sollten mir von ihr erzählen.«
17
Mead führte Tessa durch das Internierungslager und achtete sorgfältig darauf, eine Route zu wählen, bei der jeder Kontakt zu den Insassen vermieden wurde. Dann brachte er sie über einen gut
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