Schnappschuss
einsehbaren Weg zurück zum Verwaltungstrakt. »Einen Kaffee, bevor Sie gehen? Tee?«
»Wir sind noch nicht fertig, Mr. Mead.«
»Nennen Sie mich Charlie«, sagte er ganz automatisch. »Was gibts denn noch?«
Ein eisiger Wind kam direkt von der Bucht aus Südwest herein. Meads Gleichgültigkeit ließ Tessa ebenso frösteln wie der Wind. »Es gibt da ein paar Anschuldigungen.«
»Die gibt es immer und wird es immer geben. Na, spucken Sie schon aus. Was für Anschuldigungen?«
»Laut einer Krankenschwester, einer Wache und einem Abteilungsleiter, die alle bei Ihnen gearbeitet haben, soll ANZCOR das Einwanderungsministerium systematisch betrogen haben, und das in Millionenhöhe.«
»Beweisen Sie es.«
»Sie und Ihre Mitarbeiter sollen zum Beispiel künstlich Unruhen ausgelöst haben, bei denen Einrichtungen und Gebäude beschädigt wurden, um danach überhöhte Reparaturrechnungen einzureichen.«
»Soll das eine Frage sein oder Meinungsmache?«
»Falls einer Ihrer Abteilungsleiter Bedenken erhoben hat, soll ihm mit der Entlassung gedroht worden sein, und ihre Berichte wurden zensiert oder gingen passenderweise verloren.«
»Hören Sie, Lady«, sagte Mead und beugte sich ihr drohend entgegen, »sagen Sie, was Sie sagen wollen, oder halten Sie den Mund.«
»Möchten Sie zu den Anschuldigungen etwas sagen, Mr. Mead?«
»Nennen Sie mich Charlie«, erwiderte Mead und drehte sich erneut zu ihr um. »Ist das alles? Gut«, sagte er und öffnete eine Seitentür. »Man wird Sie hinausbegleiten.«
Tessa verließ das Hauptgebäude und traf dabei auf einen vor sich hin brütenden, gelangweilten Wachmann, der seinen Metalldetektor vor einer Stahltür hin und her schwenkte und so zum Jaulen brachte. Das tat er immer und immer wieder. Niemand kümmerte sich darum. Das ganze Lager lag unter einer Dunstglocke aus gewalttätiger Gleichgültigkeit, und Tessa überlegte, ob dies alles Charlie Meads Werk war und damit zu tun hatte, wer er war und was er zuvor gemacht hatte.
Sie blieb wie angewurzelt stehen. Warum sollte sie weiter darüber nachdenken, wer Mead jetzt war? Er würde bald verschwunden sein, und sie würde weiter vor die Wand laufen. Warum also nicht mal recherchieren, was er zuvor gemacht hatte und wo er hergekommen war?
Andy Asche fuhr Natalie Cobb aus der Stadt nach Hause. Er war ganz begeistert, wie gut sie aussah, obwohl sie doch den ganzen Vormittag im Gericht sitzen und ihrer beknackten Mutter Händchen halten musste, um danach dann den Nachmittag in South Yarra zu verbringen und alles Mögliche zu klauen. Das sagte er ihr auch.
»Na, da dank ich aber schön, der Herr.«
»Straight«, fuhr Andy fort, »aber sexy.«
Natalie war achtzehn, ging noch zur Schule, ging aber locker als Yuppiehühnchen durch, das ihre Yuppiewohnung in Southgate ausstaffierte, eine Gegend, in der all die Yuppies wohnten, und dieser Eindruck zählte für Andy und Natalie.
Die Sache lief folgendermaßen: Die Leute, für die sie arbeiteten, hatten Pfandleihen in der Stadt und einen Heimbedarfs-Discounter auf der Peninsula. Das Diebesgut floss also in zwei Richtungen: das Zeug aus der Stadt landete auf der Halbinsel, das von der Halbinsel in der Stadt. Die gusseiserne Bratpfanne, die Natalie und er vielleicht in South Yarra mitgehen lassen konnten, landete direkt bei »Appetit auf Secondhand« in Somerville (Pfannen, Appetit, kapiert?). Die Bullen würden sowieso nicht außerhalb der Stadt nach einer geklauten Pfanne suchen, selbst wenn sie dreihundert Dollar kostete. In der anderen Richtung verscherbelten die Pfandleihen in der Stadt das Zeugs aus irgendwelchen Einbrüchen auf der Halbinsel. Eine Rentnerin unten in Penzance Beach würde wohl kaum über ihren Videorekorder stolpern, der in einem vergitterten Schaufenster in Footscray lag. Die Leute, für die Andy und Natalie arbeiteten, machten sich auch über Betriebsprüfungen oder Steuerfahndungen keinen Kopf. Sie hatten Papierkram, der bewies, dass die neue Chasseur-Pfanne aus einer Geschäftsauflösung in Cairns stammte und der Videorekorder von einer Kellnerin in Abbotsford versetzt worden war.
Andy und Natalie hatten ihren ersten Treffer heute bei Perfecto Coffee in der Chapel Street gelandet, wo die Regale voll gestopft waren mit Kaffeekannen und Maschinen, mit Filtern, Dichtungen, Milchschäumern, all diesem Plunder. Bialetti, Gaggia, all die großen Namen. Kaffeebohnen gab es dort auch, aber die Bestellung hatte auf Espressomaschinen, Kaffeemaschinen und
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