Schnappschuss
gegenüberzutreten, aber sie wusste, dass das unmöglich war. Sie riss sich aus ihren Gedanken und ging zu den Tatortspezialisten.
Eine Stunde lang beaufsichtigte sie deren Suche nach Fingerabdrücken, dann wies sie sie an, die Reifenspuren auf Challis’ Vorderrasen abzunehmen, und schaute zu, wie sie erst ein Fixativ auf die Schlammspuren sprühten und dann Gips darüber gossen.
»Ich muss wissen, ob diese Spuren zu denen bei anderen Einbrüchen passen«, sagte sie.
»Alles klar, Sergeant.«
Kaum war sie wieder in der Einsatzzentrale, als ihr Handy klingelte.
»Sergeant? Pam Murphy.«
»Hi. Was gibts?«
Es ging um einen Unfall mit einem Toyota voller teurer Elektrogeräte und einem Fahrer, der in einem Waldstreifen verschwunden war. »Mir ist eingefallen, dass Scobie Sutton und Sie doch an einer Serie von Einbruchsdiebstählen gearbeitet haben.«
Ach ja?, dachte Ellen. Bei jeder anderen Person hätte diese Erklärung fadenscheinig gewirkt, doch Pam Murphy hatte ein gutes Gedächtnis und neigte dazu, Verbindungen zwischen den Dingen herzustellen. Sie würde einen guten Detective abgeben.
»Sind Sie sicher, dass die Sachen gestohlen sind?«
»Nun ja, der Fahrer ist abgehauen, und es sind einfach zu viele Sachen: TV, DVD, Digitalkameras, Schmuck, Laptop.«
Ellen wurde ganz kribbelig. »Und Sie suchen den Fahrer?«
»Ja, Sergeant.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind, ich bin schon unterwegs.«
Sie nahm Scobie Sutton, ließ sich ein ziviles Dienstfahrzeug geben und machte sich zu einer Ecke der Halbinsel auf, in der sie noch nie zuvor gewesen war. Die Peninsula war unendlich abwechslungsreich, und diesmal ging es zum Devilbend Reservoir und zu den dort völlig einsam liegenden Häusern an einer kurvenreichen Schotterstrecke.
»Ist doch nicht so, als wenn sie die Neue wäre«, sagte Scobie Sutton unterwegs.
Sutton sprach mal wieder von seiner vermaledeiten Tochter, nahm Ellen an. Er hatte ihr von jedem Schnitt und Kratzer, jeder Darmbewegung, jedem Buchstabiertest seiner Tochter berichtet. Roslyn Sutton war für ihren Vater ein nicht enden wollendes Faszinosum. Für Ellen, Challis und alle anderen, die mit Scobie zusammenarbeiteten, waren die Anekdoten über die Tochter schon lange zu reinem Hintergrundrauschen verkommen. Ellen bemühte sich hinzuhören. Heute ging es um Roslyns Tanzstunden. Irischer Volkstanz? Ellen versuchte sich zu erinnern. Riverdance für Anfänger? Schottische Jigs und Reels? Irgend so was jedenfalls.
»Sie ist genauso gut wie die anderen, aber Jahr um Jahr gehen die Auszeichnungen und Ehrenabzeichen an die Kinder, deren Mütter bei den Kostümen und dem Make-up mithelfen. Es ist ungerecht, und das weiß sie. Sie versucht, ganz erwachsen damit umzugehen, aber man merkt, es tut ihr weh. Sie möchte auch Anerkennung ernten, und sei es nur ein einziges Mal.«
»Ja, das ist wichtig«, sagte Ellen, und dachte an ihre eigene, nun neunzehnjährige Tochter, die sich mit anderen Studenten ein Haus teilte.
»Beth und ich sind einfach zu beschäftigt, um auch noch bei den Kostümen und allem zu helfen. Warum muss Ros dafür bestraft werden?«
»Genau.«
Plötzlich gab es einen ungeheuren Lärm, und ein Helikopter flog niedrig über sie hinweg.
»Folg einfach dem Hubschrauber«, murmelte Scobie.
Fünf Minuten später waren sie am Ort des grausigen Geschehens. Ellen musste schlucken. Sie fühlte sich schlecht. Literweise Blut, schwarz wie Öl, hatte sich über die Straße ergossen. Ein Tierarzt verabreichte einem verletzten Pferd die Gnadenspritze, eine Tote in Reithose, Reithelm und -stiefeln wurde in einen Rettungswagen gehoben. Ein Stacheldrahtzaun war durchbrochen worden, tiefe Reifenspuren durchfurchten die schlammige, mit vereinzelten Apfelbäumen bestandene Weide, Reste einer alten Obstplantage. Am Straßenrand standen ein paar Streifenwagen mit kreisenden Blaulichtern. Der Helikopter schwebte über einem überwucherten Hain am anderen Ende der Weide. Näher bei ihnen, etwa hundert Meter vom Zaun entfernt, lag ein Van auf dem Dach.
Und da stand Alan, ihr Mann, und befragte John Tankard, der ganz aufgeregt wirkte und den Kopf schüttelte. Pam Murphy stand daneben, biss sich auf die Unterlippe und beobachtete die beiden.
Ellen ließ Scobie bei Alan und Tankard zurück, damit er sich auf den Stand der Dinge bringen lassen konnte, zog Gummistiefel an, ging zu Pam und legte der jüngeren Frau beruhigend eine Hand auf den Arm. »Machen Sie sich um meinen Mann keine Gedanken. Das ist eine
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