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Schnapsdrosseln - Kriminalroman

Schnapsdrosseln - Kriminalroman

Titel: Schnapsdrosseln - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Trinkaus
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dann einen lauten, schrillen Schmerzensschrei, gefolgt von einem durchdringenden Heulen. Und dann war sie da, die Frau, diese Mutter. Einer Furie gleich stand sie da, riss ihr Kind auf den Arm.
    »Um Gottes willen!«, kreischte sie. »Was ist passiert? Was ist los?«
    Der Junge streckte seinen Arm aus, hielt ihr die Hand unter die Nase.
    Ein Kratzer, dachte Elsa erleichtert, es ist ja nur ein Kratzer.
    »Um Gottes willen«, wiederholte die Mutter. »Er hat ihn gebissen! Ihr Köter hat meinen Jungen gebissen!«
    »Nur ein Kratzer«, sagte Elsa. Ihre Stimme klang heiser, kaum zu hören über Gebell und Geheul.
    »Ein Kratzer? Das ist doch wohl …« Die Frau schnappte nach Luft. Der Junge hatte sein Gesicht an ihrer Schulter vergraben und schluchzte theatralisch.
    »Er ist einfach auf ihn zugelaufen«, sagte Elsa, deren Empörung wuchs. Der Ton allein, dieser Ton! Was bildete sich diese Person ein? Ließ ihr Kind unbeaufsichtigt, ihr ziemlich dummes Kind, und tat dann so, als sei es Elsas Schuld, wenn so etwas passierte. »Fipsi hat sehr schlechte Erfahrungen mit Kindern gemacht. Sie hat sich bedroht gefühlt. Er hat sich völlig falsch verhalten!«
    »Sie wollen mir erklären, dass mein Sohn daran schuld ist, dass Ihr Köter ihn gebissen hat?«
    »Mein Hund war angeleint! Vorschriftsmäßig. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen!« Elsa bemühte sich, den aufsteigenden Ärger zu bremsen. Der Ton! Gott, wie sie diese Übermütter hasste. Beschränkte Frauen, die in winzigen Hütten lebten und ihren Lebensinhalt in der Aufzucht ihrer schlecht geratenen Brut sahen. Es war verdammt noch mal nicht ihre Schuld, dass niemand diesem Kind Regeln beigebracht hatte.
    »Ihr Hund hat mein Kind gebissen! Meinen zweijährigen Sohn! Auf offener Straße, quasi in unserem eigenen Garten! Es ist mir völlig egal, ob er angeleint war«, giftete die Frau.
    Elsa wurde schwindelig.
    »Ich zeige Sie an! Ich verklage Sie!« Die Stimme der Frau war unerbittlich. »Sie da«, rief sie dann. »Sie da drüben! Haben Sie das gesehen?«
    Sie sprach mit einer Frau, die ein Stück weiter weg stand. Einer, die unmöglich irgendetwas gesehen haben konnte, aber das spielte keine Rolle. Elsa straffte die Schultern. Sie würde nicht weinen, nicht hier, nicht vor dieser Person und ihrem schrecklichen Kind. »Ich muss jetzt nach Hause«, sagte sie.
    »Das ist ja wohl die Höhe!«, kreischte die Frau.
    Elsa griff die Leine noch etwas fester und setzte sich in Bewegung. Sie zwang Fipsi, die sich den Hals verrenkte und in Richtung der keifenden Person kläffte, hinter sich her. Ging Schritt für Schritt. Sie schenkte weder der hysterischen Mutter noch der Frau, die sich nun näherte und ihr vage bekannt vorkam, die geringste Beachtung.
    Es reichte. Es war noch nicht einmal neun Uhr, und es reichte ihr absolut für diesen Tag.
    Ein Fuchs. Ein Marder. Eine Katze vielleicht. Panische, unsinnige Gedanken zuckten wie Blitze durch Stefanies Kopf. Weder Fuchs noch Marder öffneten Türen und Fenster. Vielleicht war sie betrunkener gewesen, als sie gedacht hatte. Vielleicht hatte sie nicht aufgepasst gestern Abend, hatte den Riegel nicht ordentlich vorgeschoben.
    Aber selbst wenn es so gewesen wäre – es änderte nichts an dem Wissen, dass hier weder Fuchs noch Marder am Werk gewesen waren. Die Küken lagen still, äußerlich unverletzt, sie lagen da im Stroh, mit sonderbar verdrehten Hälsen. Die Glucken pickten aufgeregt um sie herum. Verständnislose, dumme Hühner, die nicht verstanden, was geschehen war.
    Genau wie sie selbst.
    Sie überwand ihre Starre, betrat das Gehege. Sie hob einen der kleinen Körper hoch. Weich und schlaff lag er in ihrer Hand, der Kopf baumelte haltlos nach unten.
    Kein Blut. Keine Bisswunde. Unversehrtes Federkleid. Das war kein Raubtier gewesen. Fuchs und Marder hinterließen Blut und Verstümmelung. Sie brachen einem Huhn nicht das Genick und ließen es dann liegen. Kein Tier, das war klar, bevor sie den Zettel sah. Sie legte das Küken ab, sanft, als mache es einen Unterschied. Griff nach dem Papier – der Brief, zischte eine idiotische Stimme in ihr, der Brief, aber es war natürlich nicht der Brief.
    Und doch war es ein Brief, gewissermaßen, es war eine Nachricht, da waren Buchstaben, große und ungelenke schwarze Druckbuchstaben.
    Sie fühlte etwas Warmes an ihrem Bein, zuckte zusammen. Es war nur Karl. Karl, ihr alter Karl, der nicht ins Gehege durfte, der das genau wusste. Karl, dessen Sinne nicht mehr so scharf waren

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