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Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Titel: Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Witzel
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gab, sich aber gerade diese Zahl schneller nivelliert als die Löhne oder etwa der Bevölkerungsanteil der Angeber. Manche Studien schieben es auf fehlende Nahrungsmittelzusätze. Darauf, dass es im Gemüseladen der HO nur einheimische Äpfel gab, Erdbeeren zur Erdbeerzeit und auch sonst kaum Fast-, Fix- und Fertig-Food in der Kaufhalle. Mit anderen Worten: Weil in der DDR im Großen und Ganzen gesünder gegessen wurde. Eine Studie versuchte sogar, die bessere Allergieabwehr mit dem höheren Butterkonsum zu erklären, im Gegensatz zu den ernährungsbewussten Margarine-Schmierern im Westen. Aber auch diese Hypothese half nicht weiter. DDR-Kindern tränten die Augen vielleicht wegen der Luftverschmutzung und weil sie kein Nutella bekamen, aber nicht wegen Haselnussallergien. Weil es in den Bruchbuden überall zog, fanden Hausstaubmilben kein gemütliches Zuhause. Der ständige Industrienebel hat unsere Schleimhäute abgehärtet, die ständigen Infekte aus der Kinderkrippe unser Immunsystem. Dagegen hatten harmlose Allergene wie Birkenpollen keine Chance, und nach der so genannten Hygienehypothese hatte es offenbar auch Vorteile, dass kaum jemand einsam bei Müttern aufwuchs, die immer schon alles mit Sagrotan poliert hatten, bevor es ihre Kleinen in den Mund nehmen durften. Heute dagegen gibt es unter allergischen Kindern und Jugendlichen fast keine Unterschiede mehr. Wenigstens bei den Krankheiten klappt es also mit der deutschen Einheit. Ost-Kinder – das kann man im Rückblick ruhig auch mal wertfrei konstatieren – waren arm, aber gesund. Nun sind sie arm und krank.
    Als Hauptgrund für diese Entwicklung benennen Experten immer wieder – na bitte – den »westlichen Lebensstil«, was immer das jenseits von Wehleidigkeit und Pharma-Interessen bedeutet. Letztlich wird es sein wie in der Rüstungsindustrie: Wer massenhaft Wegwerftaschentücher produziert, muss auch dafür sorgen, dass sie irgendwann mal benutzt werden. Ab und zu braucht man eine Epidemie – Schweinegrippen, Vogelgrippen, nur nicht Kinderkrippen für alle. Das würde der Allergie-Industrie schaden. Dafür vertragen Kinder plötzlich keine Milch mehr.
    Niemand hat diese versteckten Kosten der Deutschen Einheit je beziffert. Am Ende wird man sie auch den Ostdeutschen anlasten, obwohl sie nur für den Aufschwung der westdeutschen Gesundheitsindustrie sorgen. Auch deshalb und natürlich aus Gründen der Quarantäne sollte man Westdeutschen vorsichtshalber nicht mehr die Hand geben. Möglicherweise sind sie selbst die aggressivsten Allergene für uns. Ich jedenfalls bekomme sofort Pickel, wenn ich wieder mal den Kopf zu spät zurückziehe und eine mir eigentlich fremde Kollegin Küsschen andeutet. Es sind vergiftete Judasküsse, nichts weiter. Oder eine Kontaktallergie?

»Fremdsein ist ein gewaltiges Handwerk,
das Fleiß und Fertigkeit erfordert.«
    Franz Werfel, Zwischen oben und unten
     

Integration für Neu-Neu-Bundesländler
     
    Sie wissen nicht, warum sich in der ehemals volkseigenen Kantine keiner neben Sie setzt? Sie halten das für Mobbing und leiden unter Heimweh nach Düsseldorf? Lassen Sie sich helfen! Ein Schnellkurs.
     
    Wer in Leipzig einen Integrationskurs besuchen will, so belehrt mich der zuständige Referatsleiter Stojan G., muss erst seine Berechtigung dafür nachweisen. »Da Sie aber als gebürtiger Leipziger und Journalist sicher über ›ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen‹ – so der Terminus technicus – sehe ich für Sie persönlich schlechte Chancen.« Es war ein Missverständnis, trotz beidseitig »ausreichender Sprachkenntnisse«, denn eigentlich dachte ich bei der Frage nach dem nächsten Lehrgang eher an meinen zweitbesten Freund Ludger aus dem Münsterland. Ich wusste auch nicht, dass es in diesen Kursen offenbar nur um Grammatik und Vokabeln geht, nicht um Landeskunde oder andere Bedürfnisse innerdeutscher Migranten. Dabei leiden auch diese Menschen oft unter Isolation und entsprechenden Verhaltensauffälligkeiten. Also bitte – wegen der großen Nachfrage in den westdeutschen Parallelgesellschaften ostdeutscher Städte und Gemeinden – heute ein Schnellkurs für unsere neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger (Aufbau-Tagesseminare schon ab 4.999,- Euro p.W.):

Lektion 1. Überlegen Sie es sich noch einmal ganz genau!
     
    Wartet man dort wirklich auf Sie – oder locken doch nur Karriere, angeblich geringere Lebenshaltungskosten, Abenteuerlust, Geltungssucht oder andere bizarre Neigungen

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