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Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Titel: Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Witzel
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zurücklächelt. Ihre perfide Ideologie verbergen sie nicht mal, und das süße Gift wirkt bei denen, die hier schon länger interniert sind. Vom kollektiven Grinsen benebelt wanken sie zwischen Pool und Kantine hin und her – zufriedene Zonen-Zombies, ferngesteuert, alles nach Plan. Selten habe ich mich unter Westdeutschen so schnell zu Hause gefühlt.
    Bei einer Art Tanz-Appell führen die Funktionäre vor, was sie auch von uns erwarten, nämlich »aus sich rauszugehen«. Das – so ihre Hymne – sei »mehr, als die Welt zu sehen.« Ganz ähnlich wurde einem schon früher erklärt, warum die Welt an der Ostsee endet. Zu den Standards der klassischen Gehirnwäsche gehört natürlich auch, dass die Agitatoren alle »Robin« heißen; ebenso die permanente Wiederholung von Sinnlos-Parolen, bis selbst »Wir sind so Robinson« kaum noch albern klingt. Als »Philosophie« gar wird die Nötigung verkauft, wildfremde Menschen zu duzen wie alte Genossen. Danach wehrt man sich auch nicht mehr gegen die Indoktrinierung der Kinder.
    Von früh bis spät werden sie betreut und täglich mit Sprechchören auf Linie gebracht. Statt »Seid bereit« rufen die Pionierleiter in FDJ-blauen T-Shirts: »Maxis, Maxis, was wollt ihr?« Und zackig folgt das Echo: »Spaß und Action wollen wir!« Ihre Eltern stört das nicht, im Gegenteil: Erfahrene Club-Urlauber scheinen genau das zu lieben, was sie sonst überheblich verteufeln: Gruppenzwang und Gesinnungsterror, ein abgeschirmtes Leben hinter Zäunen. Wahrscheinlich wären die meisten Westdeutschen sogar die besseren DDR-Bürger gewesen.
    Wie damals gibt es eigentlich immer genug zu essen. Am Buffet aber tun alle so, als könnte die Lebensmittelversorgung jederzeit zusammenbrechen. Schon deshalb traut sich keiner weiter vom Gelände als bis zum Strand. Wäre ja schade um jeden Cent, dieses wunderbare Umsonst-Gefühl beim Flatrate-Saufen. Wer weiß außerdem, was einen da draußen erwartet? Womöglich hungrige Afrikaner in löchrigen Booten? Die Angst, im Zweifel könnte es einem noch schlechter gehen, war für Diktaturen schon immer eine verlässliche Stütze. Gleich nach Brot und Spielen, zu denen sich die Eifrigsten schon im Morgengrauen in der Wellness-Oase versammeln.
    Auf wackligen Yoga-Beinen begrüßen sie die Sonne. Verbissen, ja disziplinierter als beim Frühsport der Nationalen Volksarmee. Überhaupt stehen Westdeutsche offenbar auch im Urlaub auf Wettbewerb und Show. Ständig werden Club-Meister ermittelt. Jeder Saunaaufguss wie ein Event gefeiert. Der tägliche Höhepunkt aber ist der Auftritt einer dicken Plüsch-Robbe namens »Robby«, die Mambo tanzt wie Achim Menzel. Selbst Väter können sich dem Personenkult nicht entziehen, singen »Uhlala« und tanzen mit der Videokamera im Arm selbstvergessen mit. Stundenlang könnte ich dem grotesken Treiben von der Bar aus zusehen, wenn mich nicht prompt ein Robin ermahnen würde, ob alles in Ordnung sei.
    Mit mir?! – »Ja«, sagt er und fragt, ob ich vielleicht Lust auf lustige Poolspiele oder »Jekami« hätte. – Worauf? – »Auf Jekami – jeder kann mitmachen.« Dunkel erinnere ich mich an eine Kindersendung im DDR-Fernsehen. Mach mit, mach’s nach, mach’s besser! hieß die, und »Adi« nannte sich der Animateur – ein »verdienter Meister des Sports«. Manches, denke ich, verdrängt man zu Recht. Dann wird mir schlecht.
    Das immerhin lässt der Robin gelten. Zwar stehen – angeblich »auf Wunsch der Gäste« – überall Desinfektionsmittel rum. Tatsächlich aber wird der Keim wie ein Staatsgeheimnis gehütet, der etliche Urlauber ans Klo fesselt. Niemand soll hinterher sagen, er habe sich für mehrere tausend Euro Durchfall geholt. Und auch das gehört wohl zur Psychodynamik, mit der westdeutsche Experten sonst gern den Zusammenhalt in der DDR erklären: Nach ein paar Tagen wird nur noch hinter vorgehaltener Hand über solche Dinge geklagt. Dass man die Tennisbälle neuerdings kaufen müsse, dass Ameisenstraßen über Kopfkissen führen und früher überhaupt alles besser war. In der Not rückt man eben zusammen, leider auch an unserem Tisch.
    »Und wo kommt Ihr her?« Aus Leipzig. »Ach was! Schon lange?« Eigentlich – wir wollen nur ehrlich sein – von Anfang an. Da nicken sie anerkennend: »Ist ja mutig  – gleich nach 1990? Also wirklich ...«
    Es ist immer wieder ein Schock, wenn sie einen dermaßen hartnäckig für ihresgleichen halten. Andererseits  – unsere eigene Schuld – ist es

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