Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
»Spaß beiseite« sagt – eines Tages lernen den Quatsch unsere eigenen Kinder in der Schule. Denn natürlich sind auch die Lehrpläne und Schulbuchverlage für die besetzten Gebiete fest in ihrer Hand.
Dass wir mit unseren Schülerhänden Lampen für sie zusammenbauen mussten, steht da natürlich nicht drin. Weil dabei auch ab und zu eine verschwand, empfanden wir das als Privileg. So stand es immerhin auch auf den Lampen – und war doch nur Kinderarbeit für den Westen, Zwangsarbeit für den Quelle-Versand. Da fällt mir ein: Vielleicht gibt es ja für Kindersklaven der DDR noch irgendwo eine gesamtdeutsche Opferrente abzusahnen?
Das ist überhaupt der Trend beim Veralbern von Westdeutschen: Wie wir sie ausnutzen und gleichzeitig ihr schönes Gemeinwesen verachten. Man muss nur mal schreiben, die Urne sei der Sarg der Demokratie (siehe Seite 100), schon jaulen sie auf. Das ist fast so wirkungsvoll wie haarsträubende Geschichten über verschwendete Aufbau-Millionen, die zwar meistens zurück in den Westen sickern – aber das kann man ja weglassen.
Im letzten Urlaub, den wir uns gewissermaßen als Nebenerwerbsbauern verdienten, staunten ein paar zwanghaft redselige Handtuchnachbarn, wieso unsere schulpflichtigen Kinder im Februar zwei Wochen frei haben. So was wie Winterferien kannten sie nicht. Ich erklärte schnell, dass die neuen Bundesländer zwei Wochen schulfrei extra bekämen, seit sie regelmäßig Pisa-Spitzenreiter sind. Die fremden Landsleute nickten beflissen, als hätten sie eine ähnlich dumme Frage wie ihre Enkel in Nordrhein-Westfalen gestellt, und meine Frau setzte noch einen drauf: Mit Hartz IV sei das auch für die Eltern kein Problem – wir hätten ja ohnehin immer frei. Danach schwiegen sie mit offenen Mündern, und man konnte daher die Frage förmlich auf ihren Zungen liegen sehen, wie wir uns solche Reisen überhaupt leisten könnten? Dafür, erfuhren sie, gebe es doch diesen Sonderfonds im Solidarpakt Elf: »Kraft durch Ferien« für ostdeutsche Familien, jährlich 2000 Euro pro Person. Und bei der Gelegenheit bedankten wir uns selbstverständlich auch noch einmal persönlich dafür.
Zur Not gehen aber auch Stasigeschichten immer noch ganz gut, von Wanzen in Südfrüchten zum Beispiel, oder wie wir in der Schule über das Fernsehverhalten unserer Eltern ausgehorcht wurden, nämlich mit der heimtückischen Frage, ob die Uhr vor den Nachrichten Punkte oder Striche hat. Die Online-Überwachung steckte sozusagen noch in Kinderschuhen. Aber richtig laut lacht darüber seit der Schäuble-Doktrin auch im Westen niemand mehr.
Mit der ganzen Ambivalenz der DDR oder den Überlebensstrategien in einer Diktatur konnten sie ohnehin nie viel anfangen. Dabei hätten sie so viel lernen, wiedererkennen und selbst gebrauchen können. Lieber beömmeln sie sich weiter über Zonen-Gabi, die in Wahrheit auch nur eine Frau aus Worms war und noch vor kurzem der Süddeutschen Zeitung verriet, dass sie ihre Schnee-Jeansjacke immer noch trägt.
Mehr als die halbe Wahrheit vertragen Westdeutsche leider nicht. Deshalb lassen sie sich auch so gut und gerne foppen, schließlich sind sie das untereinander nicht anders gewöhnt. Die Rente ist sicher. Die Atomkraft ist sicher. Da glaubt man irgendwann auch, dass alte Ost-Turnschuhe cool sind. Bei Manufactum – das ist für meine besten Enten-Kunden etwa das, was für ihre Eltern der Quelle-Katalog war – gibt es gerade einen Nachbau der fiesen Treter für 236 Euro. So gesehen hole ich mit meinen Bio-Enten nur zurück, was mir für die Quelle-Lampen zusteht, und muss mich auch für die 50 Euro pro Stück nicht genieren. Gerade hat es wieder »Kling« gemacht. Ich muss die Mikrowellen füttern. Ein Stress! Soll noch mal einer sagen, Ostdeutsche hätten keinen Unternehmergeist. Dann sage ich – wie immer: Schnauze!
»Ich war gerne in der FDJ.«
Angela Merkel
System-Streber-Gene
Plötzlich mäkeln alle an Angela Merkel rum. Sogar an Erich Honecker fühlen sich ehemalige Fans im Westen erinnert. Dort reibt man sich die Augen – hier nicht. Eine DNA-Analyse.
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