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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Beruf vorstellen, als mich den ganzen Tag mit Musik zu beschäftigen, man müßte Radiomoderator sein. Die Beine auf dem Tisch, der Plattenspieler in Reichweite, und alle paar Minuten die Nadel auf ein neues Lied senken. Jenseits der Radiomusik gibt es ein verbotenes Land mit Bands, deren Musik einem schaden kann. Die Namen klingen gespenstisch, weil sie eigentlich aus der Bibel stammen: Judas, Sabath, Nazareth, aber mit Kugelschreiber und altmodischen, bedrohlich verschnörkelten Buchstaben auf die Jeansjacken der Bucher Rocker geschrieben. Bei manchen steht auch in Form eines Kreuzes:

    Birgit entdeckt einen Schmutzstreifen auf ihrem weißen Turnschuh: «Mach ditt sauber!» sagt sie zu mir. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, vielleicht so tun, als sei es witzig gemeint? Oder ein besonders beeindruckendes Schimpfwort, damit sie weiß, daß mit mir nicht zu spaßen ist? Damit gibt man aber zu, daß man sich «angesprochen»fühlt? Mir fällt immer erst hinterher die richtige Antwort ein. In meinem Notizblock habe ich eine Rubrik «Sprüche» eingerichtet, um irgendwann bei jeder Gelegenheit einen passenden zu haben. Wie Ulzana sagen: «Mein Messer ist schneller als deine Zunge»? Ich wäre gerne unsichtbar. In irgendeinem Alter haben sich die Mädchen verändert. Sie verehren jetzt ältere Jungs mit Schnurrbart, allerdings weiß ich nicht, worum es ihnen dabei geht, nur, daß sich meistens mehrere denselben ausgesucht haben. Ich räche mich damit, daß ich den Ball in die äußerste Ecke hinter dem Netz spiele, an die sie nicht heranreichen, vor allem, weil die Mädchen ja alle nur mit der Rückhand spielen. Warum ich immer einen Brustbeutel trage? «Hast du da deine Mondos drinne?» Hoffentlich kommen sie nicht auf die Idee, nachzusehen, sie dürfen auf keinen Fall merken, daß mir das unangenehm wäre, sonst wären sie nicht mehr zu stoppen und würden meine Pflaster entdecken.
    «Ej, Miss Piggy, sag mal: Kaiser Karl konnte keine Kümmelkörner kauen.»
    Ich bin froh, daß sie sich erst einmal wieder von mir abwenden.
    Einen Schmetterball einfach zurückschmettern, und er bleibt nicht im Netz hängen, sondern berührt gerade noch die andere Seite der Platte. Das ist ein wundervolles Gefühl, die Welt ist für einen Moment perfekt. Wenn das doch immer so hin- und herginge, ohne daß man die Platte verfehlt. Man kann auch versuchen, dabei ein bißchen so auszusehen wie Boris Becker, weit ausholen und kleine Hüpfer machen, um immer optimal zum Ball zu stehen. Beim Tennis sitzen die Spieler neben einer großen Kühltruhe und können in den Pausen einfach reingreifen und sich mit Brause und Cola versorgen, darum beneide ich sie.
    Seltsam, daß Boris Becker und Steffi Graf kein Paar sind. Und warum der mit Vornamen «Boris» heißt, obwohl er aus dem Westen ist? Bekommt er da keinen Ärger? Ich würde ja gerne einmal Tennis spielen. Ich bilde mir ein, daß ich das sofort könnte, es sieht leicht aus. In Buch wird neuerdings auch Tennis gegen die Wände der Plattenbauten gespielt, die unterste Reihe quadratischer Segmente kann man als Netz nehmen. Man spielt natürlich mit Federballschlägern. Mit wievielen Assen hintereinander man ein ganzes Match gewinnen würde, das rechne ich umständlich aus. Es gibt auch einen guten Tennisspieler in der DDR, aber der scheint fast der einzige zu sein und wird jedes Jahr Meister. Warum hinter den Balljungen immer «Seiko» und «Citizen» steht? Wieviele Linienrichter haben sie eigentlich insgesamt? Becker «schmeißt sich», wie man es sich als Torwart leider nicht traut. In der «Trommel» war mal ein seitengroßes Foto von Björn Borg, und die vielen Firmennamen auf seiner Kleidung waren vorwurfsvoll mit Pfeilen markiert. Er hatte seinen ganzen Körper verkauft, wie ein römischer Sklave.
    Wolfgang hat eine Softkelle aus dem Westen, so stumpf, daß man einem damit die Haare ausreißen kann. Der Griff ist aus verschiedenfarbigen Schichten Holz gefertigt und ergonomisch gestaltet, wahrscheinlich im Windkanal getestet. Wieviel Mühe sie sich gegeben haben, jedes Detail ist durchdacht, damit die Kelle möglichst vollkommen mit der Hand verschmilzt. Wolfgang borgt mir seine Kelle, das ist eigenartig, er scheint überhaupt keine schlechte Seite zu haben, man wird von ihm nicht hereingelegt oder bloßgestellt, er verlangt für seine Großzügigkeit keine Gegenleistung. Ich vermute, daß er kirchlich ist. Kinder mit Westsachen sind meistens kirchlich. Eine Aura von

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