Schneckle im Elchtest
die Haare ...«
Das reine Glück strahlte mir aus ihren trüben Augen entgegen, während sie mir inzwischen mit beiden Gichtkrallen meine Hand tätschelte. Ähnlich hatte sich wohl Hänsel gefühlt, dessen Finger von der Knusperhexe auf Futtertauglichkeit geprüft wurde. Dabei hätte ich am liebsten grünes Gift auf den Tisch gespritzt. An diesem Abend würde mir Steve einiges erklären dürfen. Sehr interessant würde dabei wohl die Geschichte mit der Polizei werden. Und wer waren wohl Peter und Paul?
Um bis dahin etwas gut Wetter zu machen, erklärte der wandelbare Wunderknabe laut und deutlich: »Nein, Martina, das ist
nicht
Chantal. Das ist Sabine. Wir wollen heiraten.«
Das gefiel Martina nun weniger. Missmutig schüttelte sie ihre grauen Fusselantennen. »Ich verstehe immer Sabine. Das kann doch nicht stimmen. Nicht stimmen! Ich sollte mir wirklich ein Hörgerät zulegen. Steve, kannst du bitte etwas lauter sprechen!« Hartmuts Premiere ähnelte immer mehr einer mumifizierten, frustrierten Traube.
»Das ist
Sabine
!«, brüllte Steve jetzt merklich angefressen in ihr Ohr. »Wir werden heiraten. Sabine ist eine sehr erfolgreiche Redakteurin aus Stuttgart. Ihrem Vater gehört das Schneck-Bauunternehmen und ihrem Bruder die Schneck-Baumarkt-Kette. Da kann Edith nicht als Sekretärin arbeiten. Aber vielleicht an der Kasse. Und vielleicht gibt’s da auch einen Ausbildungsplatz für meine Stiefcousinen! Die heißen Petra und Paula, nicht Peter und Paul!!!«
Glubb. Jetzt verstand nicht nur Martina, sondern auch ich nur noch Bahnhof. Ratlos suchten wir im Gesicht der jeweils anderen nach verständlichen Antworten, erhielten aber nur weitere Fragezeichen.
Während Martina noch an der Peter- und-Paul-Geschichte kaute, überlegte ich, was der Unsinn mit dem Bauunternehmen und den Baumärkten sollte? War Steve einmal zu oft im Ikea gewesen? War der Wunsch Vater des Gedankens? Oder wollte er sich und mich bei der feinen Verwandtschaft einfach nur anbiedern, indem er Grimms Märchen neu erfand?
Immerhin war mir nach Martinas Schusselanfall klar, warum die Euphorie am Tisch nach meinem Auftauchen nicht überkochte: Die liebe Chantal war für die halbe Familie leider nur
fast
zur Jobagentur geworden. Dass nun ich auftauchte, passte ihnen logischerweise so gut in den Kram wie einem hungrigen schwäbischen Bauern ein französisches Austerngericht.
Steve, der inzwischen stark schwitzte, zerrte mich schnaufend aus Martinas Hörweite, hin zu dem Herrn, der so gerne ein Glas Sekt getrunken hätte, sowie zu der passenden distinguierten Dame und dem Rastamädel.
»Das sind Kurt, Germanistik-Professor a. D., Ediths Schwiegervater, sowie seine Frau Doris und seine Tochter Kerstin. Die drei wohnen übrigens in Stuttgart-Stammheim.«
»Ach«, entfuhr es mir vor lauter Überraschung.
Endlich wurde der Tag schöner! Der Professor erhob sich dann auch strahlend, knöpfte beflissentlich sein Jackett zu und schüttelte mir beherzt die Hand. Endlich mal kein toter Fisch, sondern zupackendes Schwabentum. Ich konnte mein Glück kaum fassen.
»Ich hoffe, die Fahrt war nicht zu beschwerlich? Die Strecke ist ja nicht zu unterschätzen«, meinte er höflich und schüttelte weiter. »Und ich hoffe, Sie haben sich mit regentauglicher Kleidung eingedeckt. Das Klima hier ist etwas, nun, feucht.«
Seine Gattin erhob sich immerhin auch kurz, lächelte etwas gezwungen, murmelte »Angenehm« und ließ sich wieder auf ihren harten Holzstuhl fallen.
Der Prof fuhr fort: »Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen zu Ihrer Verlobung gratuliere. Ich wünsche Ihnen alles Glück der Welt.«
Das »Sie werden es brauchen« musste er nicht anfügen. Es war quasi als Großbuchstaben-Untertitel auf seiner Stirn zu lesen, während er einen gehetzten Blick in die Runde warf. Und es erschienen, jedenfalls für mich deutlich lesbar, weitere leuchtende Großbuchstaben als Stirntitel: »Ich würde jeden meiner akademischen Titel auf der Stelle für eine Flasche Schnaps und eine andere Verwandtschaft eintauschen.«
Nichtsdestotrotz freute ich mich mächtig: ein durstiger Stuttgarter Germanistik-Prof, hier mitten in diesem SippenMorast! Es war wohl doch etwas dran an Omas Sprüchlein: »Wenn du dengschd, äs gohd ned mähr, kommd von irgendwo a Lichtle här.« Ich beschloss, ebendieses Licht in den nächsten Tagen häufig anzuknipsen und mich eng an die Schwaben zu halten. Außerdem teilte der Professor samt seiner stöhnenden besseren Hälfte mein Schicksal und hatte
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